Zweiter Lesungstag – Vormittag
Ein bisschen vermisse ich die Zeit, als ich noch Zuhause vor dem Fernseher die Lesungen verfolgte und mit den anderen im Bachmann-Chat tratschte. Das geht bei mir hier nicht. Entweder konzentriert zuhören oder nachschauen, was die anderen sagen. Da muss ich mich entscheiden. Heute wie gestern merkte ich, wie die Konzentration dann am Nachmittag steil abfällt. So viel Anstrengung, diese geballten Textladungen.
Heute geradezu ein Textfeuerwerk.
Zé do Rock
Sympathisch, humorvoll – aber mich interessiert der Text nicht besonders, er bleibt mir fern. Gegen Ende stellt sich eine Genervtheit bei mir ein. Nichts für mich, aber beim Publikum kommt er gut an.
Die Jury stellt fest, dass sein Beitrag den Fetzigkeitsfaktor des Bewerbs erhöht, dass sein Humor aber auch sehr bösartig ist. Hubert Winkels gibt ein Blablabla von sich, dem ich nicht folgen kann. Nur sein Resümee verstehe ich: der Text habe keine innere Spannung. Daniela Strigl meint, das Deutsch sei erkennbar, aber da sei noch eine andere Sprache, die sie nicht gelernt hätte und Frau Keller freut sich, wenn Texte am Rande der deutschen Sprache gelesen werden. Der Begriff universelles Esperanto fällt.
Alles in allem wahrscheinlich ein Kandidat für einen der Preise.
Cordula Simon
Langeweile ist ausgebrochen in diesem Text. Eine freudlose Welt. Böse-Hexen-Literatur. Das Frauenbild, das sie zeichnet gefällt mir noch weniger, als der Text selbst.
Frau Feßmann nennt es eine folkloristische Geschichte und Herr Jandl beanstandet den Vortrag. Von Burkhard Spinnen erfahren wir, dass er sonntags den Tatort schaut, diesen aber nicht mag, wenn er in einem Dorf spielt.
Da Frau Strigl die Autorin eingeladen hat und ich erfahren möchte, was sie so sehr daran fasziniert, höre ich ihr besonders gut zu. Sie spricht davon, dass es eine Fluchtgeschichte sei, ein beunruhigendes Matriachat gezeichnet würde und dass die Hauptfigur einen inneren Widerstand dagegen empfinde zur Prophetin gemacht zu werden. Aha! Vielleicht sollte ich die Geschichte noch einmal in Ruhe lesen.
Heinz Helle
Eine Beziehungsweise-Trennungs-Geschichte. Ein Über-Wir spricht. Ich mag die Geschichte nicht. Die Jury sieht das anders.
Minimalistische Verknappung, hübscher, gelungener Text, die Figur sucht Trost, intelligenter Text über Lieblosigkeit und der Höhepunkt in der Jurydiskussion: ein politischer Text über den Fluch des Individualismus im Massenzeitalter.
Noch mal ein: Aha meinerseits.