Welche Rolle spielen Personen mit Behinderung in moderner Kunst?

Das ist eine Frage, die mich zum Nachdenken anregt. Welche Rolle spielen Behinderungen in der Kunst überhaupt?
Es gab eine ganze Menge Künstlerinnen und Künstler, die mit Behinderungen oder Einschränkungen lebten. Bei den Malern fallen mir spontan Frida Kahlo oder Henry de Toulouse-Lautrec ein. Bei den Schriftstellern der blinde Jorge Luis Borges. Zählt man noch die psychischen und mentalen Behinderungen dazu, dann stehen Virginia Woolf und Vincent van Gogh Beispiele für die krönenden Sterne am Künstlerinnenfirmament.
Kunst und Behinderung sind sich nicht fremd. Sie stehen nahe beieinander. Näher als wir es vielleicht vermuten, wenn wir auf unsere Gesellschaft blicken. Dort gibt es ein schwarzes Loch, das Behinderung heißt. Ein Filter der gesetzt wird und Menschen ausblendet.

Welche Rolle spielen Personen mit Behinderung in moderner Kunst?

Comments (12)

SusanneApril 11th, 2010 at 18:27

Ich denke nicht, daß die Proportion Behinderter in Subpopulationen (wie die der Künstler) signigfikant von derjenigen in der Grundgesamtheit abweicht. Nur richtet sich in solch ‚qualitativ‘ abgegrenzten Samples der Blick eher auf das Besondere und meidete das dort leicht als abwertend empfunde Zählen von Massen.

Eine andere Frage wäre sicherlich, ob die (Selbst- oder Fremd-)Definition des Individuums als ‚Künstler‘ ihrerseits behindernde Effekte besitzt, die – bei entsprechender Versorgung der einfach Lebensnotwendigkeiten – wiederum als Gegenteil, als Bevorzugung gelabelt werden könnten.

piriApril 12th, 2010 at 13:48

Also was Susanne da geschrieben hat, kann ich nur mit Mühe verstehen. Ich denke aber auch, dass behinderte Künstler (welche Art Behinderung meinst du eigentlich?) sich selber als vollwertige Künstler betrachten. Zumindest sehe ich niemanden, egal ob körperlich oder geistig Behindert, der/die sich nicht als richtiger Künstler sieht.
Wie es allerdings in der Bevölkerung aufgenommen wird, ist eine andere Geschichte. Manche sehen Kunst von Behinderten als Beschäftigungstherapie oder als kleine Zugabe an. Dabei fällt mir Peter Radtke, der ein großer kleiner Schauspieler ist — wahrscheinlich habe ich jetzt am Thema vorbei geredet …

Herzliche Grüße
Petra

rittiner & gomezApril 12th, 2010 at 13:55

ein grosses thema, es gibt ja sehr viele die kunst von psychisch kranken künstler sammeln. da wissen wir auch nie was wir davon halten sollen, zudem zwingt eine behinderung oder krankheit uns menschen oft uns mit unserer existenz auseinander zu setzen.

den in der subpopulation ist der blick auf die welt ein anderer…

myriamApril 12th, 2010 at 15:42

interessantes thema, oft habe ich das gefühl, das menschen mit problemen sich mehr creative auseinandersetzen als menschen ohne. viele musiker haben schlimme probleme und machen tolle, tiefgehende musik…

ViolineApril 12th, 2010 at 16:58

Denke gerade an Django Reinhardt. Bei dem denkt nie jemand an seine Behinderung.

Und die Cellistin von Auschwitz – Anita Lasker Wallfisch – ist trotz ihres Traumas Profi-Cellistin (London English Chamber Orchestra) geworden (ein Trauma muss sie klarerweise gehabt haben, ein schweres).

SammelmappeApril 12th, 2010 at 17:38

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich SuMuzes Kommentar, nicht nur schwer sondern gar nicht verstehen kann.
@Susanne: Kannst du ihn noch einmal anders formulieren? Ich stehe wirklich im Wald und weiß nicht, was du meinst.
@Piri: Du redest nicht am Thema vorbei sondern bist mittendrin und du hast recht: Wichtig ist auch, wie sich die Behinderten dabei fühlen. Ob sie sich selbst als Künstler betrachten – und da weißt du aus Erfahrung, wie wichtig, das künstlerische Empfinden auch bei Menschen mit einer sehr schweren Behinderung ist.
Eine besondere Behinderung meinte ich gar nicht. Mir kamen nur die Gedanken, als ich den verlinkten Artikel las und da gibt es offensichtlich tausend weitere Gedanken. Denn Kunst und Behinderung hängt mindestens genauso zusammen, wie Kunst und Leben oder wie die Sterne mit dem Himmel.
@rittiner & gomez: Die Kunst von physisch kranken Menschen wirkt auf viele Menschen faszinierend. Sie scheint zu wirken wie der große offene Torbogen, der ein Blick in die wilde Seelenlandschaft birgt. Wahrscheinlich möchte so mancher Betrachter einen Blick in die eigenen Seelengefilde nicht wagen und schaut daher lieber in Nachbars wilden Garten.
@Violine: Ich muss unbedingt nachsehen, wer die Cellistin ist, von der du schreibst.

SusanneApril 12th, 2010 at 19:52

Gerne. Also:

Erstens: Die Chance (im Sinne von Häufigkeit), daß jemand, die/der als Künstler/in gilt, als behindert betrachtet wird oder sich so betrachtet, (beide Qualifikation nehme ich hier mal im durchaus umgangssprachlichen Sinn) unterscheidet sich meiner Meinung nach nicht wesentlich von der eines beliebigen Menschen, behindert zu sein/zu gelten. Beide Eigenschaften fördern oder behindern einander nicht, so glaube ich, sondern bilden jeweils spezifische Formen im anderen aus.

Zweitens: Die Zuschreibung ‚Künstler‘ (oder ‚künstlerische Begabung‘ oder ‚Talent‘ usw.), die oftmals schon dem Kind übergestülpt wird, bis dieses sie es sich (endlich) zu eigen macht, bildet in meinen Augen eine spezifische Form der Behinderung einer freien Entwicklung eines Kindes, die sich oftmals als Förderung tarnt. Nur unter günstigsten Umständen (da wäre aufzuzählen eine extrem auf das Kind zentrierte, liebevolle Umgebung sowie eine großzügige und vor allem kontinuierliche materielle Absicherung) ist die Chance gering, daß sich dieses nicht zu einer sichtbaren, spürbaren, gelebten Behinderung auswächst, sondern lediglich zu Verhaltensauffälligkeiten wie ’schwierig‘, ‚eigen‘ usw. führt.

Die Eigenschaft, als Künstler zu gelten, geht daher oft mit dem dann notwendigen Anspruch auf eine besondere Rücksichtnahme der Umwelt (Ehe- und Lebenspartner, Kinder, Freund usw.) einher, welche die Betroffenen selbst durchaus als problematisch erfahren. Ein Mechanismus, der etwa auch für solche Zuschreibungen wie ‚Sonderbegabung‘ zutrifft.

Die Biografien allgemein als Künstler anerkannter Personen zeigen daher häufig eine permanente Auseinandersetzung dieser Menschen mit eben dieser Problematik, welche sich sowohl produktiv (im Ouevre etwa) als auch destruktiv (im Erleben bzw. Nichterleben persönlichen Glücks oder Zufriedenheit) auswirken können.

ClaudiaApril 12th, 2010 at 21:11

Du sprichst in deinem ersten Satz, den wichtigsten Punkt der Diskussion an: Wer ist behindert und wer ist künstlerisch begabt. Beide Begriffe sind so breitgefächert, jeder meint er könnte mitreden und weiß was darunter verstanden wird und trotzdem sind die Begriffe nicht schlüssig.
Beim Begriff Behinderung z.B.
Es gibt den Ausspruch: Behindert ist mensch nicht, behindert wird der Mensch. Das ist eine Sicht. Die andere Sicht ist, dass sich das im Laufe des Lebens ändern kann. Manchmal nennen wir es auch Krankheit, ein anders Mal ist es nur eine Einschränkung, eine genetische Besonderheit. Es lassen sich unzählige Varianten finden, den Begriff mit Leben zu füllen.
Gemeinsam ist den Begriffen die Abgrenzung.
Hier ist das eine – das Normale, das Gesunde, das Mittelmaß und dort ist das andere – die Behinderung, die Krankheit, die Besonderheit, die Auffälligkeit.
Ähnlich lässt es sich bei dem Begriff Künstler – Künstlerin – aufschlüsseln. Auch da gibt es die Mühe der Begriffsfindung.

Es ist eine Diskussion über die ich noch länger nachdenken muss. Sie berührt so viel.

SusanneApril 12th, 2010 at 21:27

Neben dem Inhalt einer Abgrenzung gibt es aber immer auch die bloße Tatsache der Ab- oder (schlimmer noch) Ausgrenzung. Die Topics derselben spielen dabei oft nicht einmal die erste Geige!

ViolineApril 13th, 2010 at 07:16

Diese Cellistin hat ein Buch geschrieben über den den Holocaust, wie sie ihn erlebt hat: „Ihr sollt die Wahrheit erben“.

SylviaApril 13th, 2010 at 14:00

Ich bin jetzt nicht soooo bewandert, wann man ein Werk der Kunst zuordnen *soll* oder eben nicht.
Ein Schüttbild mit Blut oder Farbe von Nitsch http://www.mzmistelbach.at/cms/index.php?cat=1&page=1&calendar_id=385 empfinde ich nicht als Kunst. Da denk ich mir eher: der ist vielleicht behindert ? Denn was veranlasst einen gsunden Menschen frisches Tierblut an die Wand zu schütten, vor entsprechend prominenten Publikum – versteht sich, und es dann für viele tausend Euro zu verkaufen ?

Wenn ich es richtig verstanden habe, ist Kunst eine Möglichkeit *etwas*, das, was beim Betrachten des Werkes entsteht* zu transportieren, respektive hervorzurufen.
Und das ist halt bei jedem was Anderes.

Der Urheber ist für mich jetzt nicht so wichtig, denn die Botschaft entsteht ja in meinem Kopf. Eine Freundin betreut schwerst körperlich und geistig behinderte Menschen und genießt deren Unmittelbarkeit; Schamgefühl kennt man da nicht so, wenn was nicht passt, wird es gleich kundgetan. Das wirkt oft befremdlich auf *normale* Menschen, denen das ja abtrainiert wurde.

Die sind völlig im Augenblick.
Ich könnte mir gut vorstellen, das diese Menschen viel transportieren können, vielleicht nicht so perfekt gemalt, aber dafür umso akurrater.

In Österreich hat man ein wertvolles Gemälde eines bekannten Malers (ich hab den Namen vergessen) in einem Stift jahrelang gehuldigt, geschützt und teuer versichert.
Dann hat sich herausgestellt, dass es eine Fälschung ist und war somit gleich gar nix mehr Wert.

Seltsam, oder ? Warum ? Das Bild ist ja noch immer dasselbe.

In der Wiener Seccession hat ein Schweizer Künstler einen echten Swinger Club als Kunst installiert, der ab 21 Uhr geöffnet ist. Ich hab mich auch gefragt, was das wohl mit Kunst zu tun haben könnte und als ich die Erklärung gelesen habe, mußte ich schmunzeln. *Er möchte mit damit die gleiche Empörung hervorrufen wie es seinerzeit das Beethovenfries tat* Zeitlich angepaßt eben.

Is ihm auch gelungen 😀

Hat Kunst was mit Provokation zu tun ? Was ?

*Das Werk und sein Schöpfer ?*
oder ist es mehr *Der Schöpfer und sein Werk ?*

Es mir ja auch nicht wichtig, wer mein Auto zusammengebaut hat, ich benutze es einfach. Und warum hat der Lebenszustand (da gibt es sicher ein besseres Wort dafür) mit dem Werk zu tun ? Es gefällt mir oder eben nicht.

Ich weiß aber, dass es für viele wichtig ist, wer da signiert hat. Weil … Ja, warum eigentlich? Weil man sich dann ein Stück des Künstlers selbst erkauft hat ?
Und wenn der Erfolg und Image hat, vielleicht ein Stück Erfolg und Image mitkauft ?

Une image – das Bild

Hier schließt sich dann vielleicht der Kreis 😉

ViolineApril 13th, 2010 at 17:20

Hmmm, Behinderung und Kunst, da fällt mir auch Royston Maldoom ein, dieser Tänzer und Choreograph aus England, der durch den Dokumentarfilm „Rhythm is it“ hier in Deutschland so bekannt wurde.
Dieses Jahr hat er seine Autobiographie herausgebracht „Tanz um Dein Leben“. Er tanzt mit benachteiligten Leuten, Schülern, Gefängnisinsassen, Behinderten, Altenheimbewohnern, Strassenkindern in Äthiopien und, und, und.
Er legt sehr viel Wert auf künstlerischen Wert dabei. Trotz aller Handicaps der Teilnehmenden.

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