TDDL 2011 – zweiter Tag
Was kaum möglich war, ist eingetroffen: eine Steigerung von gestern auf heute. Volle Konzentration meinerseits auf die Texte. Ein wahrer Textrausch. Die Jury nehme ich weniger wahr. Mein Gott, konnte ich mich früher über die aufregen. Das ist weg, wie weggeblasen. Ab und an sehr durchsichtig, ihre Motive – und dann wieder menschlich witzig, wenn einer von ihnen auf der Leitung steht und nichts kapiert.
Linus Reichlin – Weltgegend
Da war sich die Jury einig: ein Text mit richtigen Männern und dann noch mit Hemingway-Anklang samt Kriegseinsatz. Diese Stichworte alleine müssten ihn bei mir durchfallen lassen, tut es aber nicht. Ich finde diesen Krieg erbärmlich, genau aus dem Grund, den der Text schildert: nur mit Schuld kommen wir aus dieser Weltgegend wieder heraus.
(Hab mir sogar zwei Krimis von ihm gekauft, dabei wollte ich doch aufhören mit dem Kaufen, dieser materiellen Bücher aus Papier.)
Maja Haderlap – im Kessel
Die Lokalmatadorin, die Kärntnerin über deren Buch „Engel des Vergessens“ Peter Handke schreibt: “ Maja Haderlap hat eine gewaltige Geschichte geschrieben … Die Großmutter wie noch keine, der arme bittere Vater wie noch keiner, die Toten wie noch nie, ein Kind wie noch keins.“
Auf mich wirkte der Text altmodisch, nicht zeitgemäß. Den echten Handke lese ich da lieber, trotz … Aber das ist eine andere Geschichte. Die Jury war angetan – Kritik wurde allenfalls gehaucht.
Julya Rabinowich – Erdfresserin
Bei der merkt Mensch sofort, dass Frauen nicht nur sanft Wesen sind. Sie geht sprachlich in die vollen. Für meinen Geschmack manchmal einen kleinen Hauch zu derb. Aber dafür ist sie dran an dem Leben, den Gefühlen, am Elend, das nicht spektakulär sondern triefend daher kommt.
Nina Bußmann – Große Ferien
Sie kann schreiben, auf alle Fälle. Die Geschichte und die Figuren bleiben aber kalt. Die Jury verliert sich dabei, als sie die Bezüge sucht. Aus meiner Sicht lässt sich da nicht viel finden. Alles schon dagewesen. Ich mag es lieber leidenschaftlich.
Steffen Popp – Spur einer Dorfgeschichte
Aus meiner Sicht große Poesie, wunderschöne Lyrik – sehr schlecht vorgetragen. Wenn der Autor ein bisschen mehr in den Hintergrund getreten wäre … Nun ja, die Lesungen sind kein Wunschkonzert. Ich geb schon Ruhe und wiederhole: ganz tolle Lyrik.
So jetzt bin ich erschöpft und voll bis obenhin. Es ist schön, dass es so etwas wie diese Tage gibt.
Links
http://mobil.derstandard.at/1308680751484
http://jhnnsstnbrg.tumblr.com/
Neben all der Twitter-Motzerei über die Texte/Autoren/Frisuren liest sich diese Zusammenfassung mal sehr angenehm. Und es war wirklich ein starker zweiter Tag.
Ihre Favoriten?
Ja, die papiernen Bücher lassen einen halt doch nicht los! 😉
Habe heute schon an Dich und Klagenfurt gedacht, als ich in der Stadtbücherei im dortigen Literaturcafé war. Wenn man ins Foyer reinkommt, dann sind links die ganzen Infoschriften zu allen möglichen Veranstaltungen.
Nun, der Clemens-Brentano-Preis, Kathrin Passig wird am 19. Juli in der Stadtbücherei aus Tschick vorlesen.
Kein Wunder, dass ich an Dich gedacht habe, nicht wahr?
Steffen Popp aber auch Julya Rabinowich. Nehme aber an, dass die Jury unbedingt Maja Haderlap einen Preis geben will.
Frisuren sind mir gar nicht aufgefallen, obwohl ich annehme, viele der anwesenden Personen trugen eine. Ich bin nicht so der visuelle Typ.
@Violine: eine Lesung aus Tschick solltest du dir nicht entgehen lassen.
Er hat übrigens auch wieder gebloggt. http://www.wolfgang-herrndorf.de/
Oh ja, den Termin habe ich mir gleich in der Kalender eingetragen. Und festgestellt: Das ist ein Dienstag, da bin ich ja eh in der Stadtbücherei.
Und was die Frisuren betrifft: Das ist für die vorgelesene Literatur in etwa so relevant wie die sexuelle Orientierung im Fussball. Nämlich überhaupt nicht.
Das sagst du: aber die Menschen müssen doch Konversationsthemen haben. Da eignen sich sexuelle Orientierung und Frisuren hervorragend. Ich hatte heute morgen auch eine Frisur, als ich aus dem Haus ging und eine sexuelle Orientierung schleppe ich vorsichtshalber auch immer mit. Wer weiß wozu Mensch die unterwegs mal brauchen kann.
Wenn man sonst keinen Geist hat, hat man einen Ungeist.
Wenigstens ist die Frisur nicht so existentiell. Eventuelle Fehltritte kann man auf den Frisör schieben, der alles verpfuscht hat. Oder das Henna hat seine Wirkung nicht so richtig entfaltet. Oder was auch immer.
Und die „Literatur“ beim Friseur ist so hochgeistig, die kann jederzeit mit dem Bachmann-Preis konkurrieren.
Ehrlich gesagt: bei meinem Frisör ist die Literatur zwar nicht hochgeistig, aber das ganze Setting im Laden inklusive meinem Frisör, die können zusammen gut mit einigen Szenen rund um den Bachmannpreis konkurrieren.
(Das ist ernst gemeint und soll die TDDL nicht herab setzen, sondern nur betonen, wie außergewöhnlich individualistisch es dort zugeht.)
Da hast Du recht. Der Frisör ist das Leben pur.