TDDL 2011 – dritter Tag
Vier Lesungen heute. Spannend, spannend. Wie gut, dass ich mittlerweile unabhängig vom Urteil der Jury bin.
Leif Randt – Schimmernder Dunst über Cobycountry
Ein Text, so wie ihn in meiner Vorstellung ein junger Mann schreibt, der aus einem Literaturstudium kommt und sein Handwerk im Griff hat. Ein paar Lacher, ein paar mal ironisch überzogen, eine Welt parodiert, mit der sich wohl die Jury und die meisten Menschen im Publikum identifizieren. Bei der Diskussion fiel der Satz „so könnte Berlin in 10 Jahren aussehen“. Berlin in 10 Jahren eine Wellness- Oase? Berlin ist die Stadt der prekären Lebensverhältnisse. Aber davon versteht Mensch in Klagenfurt nicht so viel.
Anne Richter – Geschwister
Das war ja klar, dass dieser Text bei der Jury nicht gut ankam. Bei mir umso mehr. Eine doppelseitige Geschwistergeschichte, Familie satt, Familie pur, leise mit – im wahrsten Sinne des Wortes – Herzblut erzählt. Das war heute meine Geschichte und nicht allein nur deshalb, weil ich ein ausgeprägter Geschwistermensch bin.
Michel Bozikovic – Wespe
Der suizidgefährdete Kriegs-Cowboy in der man-Form geschrieben. Soviel Mann-man macht mich nicht munter sondern müde, da bleibe ich nicht objektiv. Das ist nicht meine Literatur.
Thomas Klupp – 9to5 Hardcore
Ich hätte es nicht nachsehen müssen, wieder einer der Literaturstudierten. Der Universitätsbetrieb fühlte sich richtig gespiegelt. Ein lustiger Text, handwerklich gut gemacht, klingt irgendwie nach Jugend – nahe ist er mir nicht.
Heute war es ganz auffallend: Jury und Publikum in Klagenfurt – und selbstverständlich auch die Autoren – kommen zum überwiegenden Teil aus der gleichen Schicht. Erlebnisarm und trotzdem voller Verlustängste. Heute war mir sehr stark bewusst, dass sie über ihre Bildung meinen, die Welt verstehen und begreifen können. Ohne Risiko und immer mit doppelter Leine und Fallnetz unterwegs. Aber ich meine, Literatur ist da, wo das Leben ist. Mittendrin und ganz besonders dabei.
Irgendwie scheinen diese Texte ja literarisch nicht so wertvoll zu sein. So, wie ich das seit ein paar Tagen mitbekomme. Als seien die Textenden alle Neulinge, Erstlinge. Kann doch irgendwie nicht sein, oder?
Verstehe ich nicht so ganz. Der Ingeborg-Bachmann-Preis ist doch nicht irgendein Preis.
Auf jeden Fall schraubt dieser Eindruck meine hohen Massstäbe an mich niedriger.
Habe ich das richtig mitbekommen, mit den nicht so ausgereiften Texten? Was sagst Du?
Nee, nicht ausgereift habe ich keinen einzigen Text erlebt. Wenn ich schreibe, dass mich die Texte bei manchen Autoren eben sehr an das Literatenstudium erinnern, dann meine ich damit den Stil in dem sie geschrieben sind. Diese Texte sind handwerklich sehr gut geschrieben und kommen bei der Jury und beim Publikum gut an. Aber das sind eben sehr stark konstruierte Texte, die sind nicht so mein Ding.
Alle Texte in Klagenfurt sind auf einem sehr hohen Niveau geschrieben – naja, fast alle.
Ich mag leidenschaftliche Texte, durch die das Leben schimmert. Die können gerne auch leise daher kommen, aber sie müssen irgendwie nach Leben riechen.
Da stimme ich Dir zu. Nur handwerklich ausgereift ist langweilig.