Roman Polanski ist frei

und ich freue mich drüber. Bin mir nicht sicher, ob das politisch korrekt ist. Mißbrauch von Kindern und Jugendlichen ist etwas Schreckliches. Eine gesellschaftliche Katastrophe ist das Wegsehen und das Leiden der Opfer – und letztendlich auch der Angehörigen, denn die müssen auch mit den Auswirkungen des Traumas der Betroffenen leben.

Mißbrauch muss geahndet und aufgedeckt werden. Das ohne Frage – und trotzdem wäre es mir unbarmherzig erschienen, wenn die Schweiz Roman Polanski ausgeliefert hätte. Schuld abtragen hat auch etwas mit Schuld anerkennen und Verantwortung übernehmen zu tun. Den Aspekt der Rache kann ich im Gesetzeskontext nicht akzeptieren, obwohl er im Strafrecht durchaus verankert ist.
Ich bin jedenfalls erleichtert, dass es in seinem Fall so ausgegangen ist. Aber woher die Erleichterung kommt, das vermag ich nicht zu sagen.

Comments (14)

ViolineJuli 12th, 2010 at 16:10

Vielleicht, weil Unbarmherzigkeit so erdrückend ist?

ClaudiaJuli 12th, 2010 at 16:22

Vielleicht hat es aber gar nichts mit Unbarmherzigkeit zu tun? Vielleicht meinen manche Menschen, das wäre Gerechtigkeit? Ich bin mir nicht ganz sicher. Mein Gefühl bei diesen Umständen ist größer als meine Möglichkeiten Argumente abzuwägen.

ViolineJuli 12th, 2010 at 16:26

Na ja, über das Gerechtigkeitsempfinden kann man sich nun wirklich streiten.

SusanneJuli 12th, 2010 at 19:17

Abgesehen vom Glatteis der ‚politischen Korrektheit‘ (angefangen vom hämischen ‚quod licet iovis, non licet bovis‘, das im Fall eines Edelflüchtlings wie Mr. Polanski so nahe liegt, bis zum gar nicht hämischen Anspruch auf Rache, der unabhängig von Eigenheiten des Opfers und/oder des Täters von der sich Gesetze gebenden Gemeinschaft erhoben werden kann) halte ich es für absolut nicht gut, wenn jemand mit einem Verbrechen ‚davon‘ kommt. Das Rechtssystem braucht die (sicherlich niemals ganz realistische) Vorstellung der strafenden Gewalt und ihres wo nötig auch langatmigen Zugriffs auf jeden Täter. Die (sicherlich sehr realistische) Vermutung, davor am Ende doch schützende Schlupflöcher sich kaufen zu können, ist Sand unter den Fundamenten seiner Effizienz und Legitimation.

Was ich in einem Fall wie diesem allein sehe, ist jener Moment der Gewalt an einem ohnmächtigen Kind, ausgeübt von einem übermächtigen Erwachsenen. Diesen Moment zur möglichst seltenen Ausnahme zu machen, ist und sollte sein eines der prominentesten Ziele jedes Gesetzes.

Die mit den verschiedensten Verbrämungen ummäntelte ‚Erfolgsstory Roman Polanski‘ spricht dem leider in meinen Augen nur Hohn. Anders vermag ich sie nicht zu sehen und kann nur (wenig optimistisch) hoffen, daß nicht allzu viele ‚bedeutsame Gestalten des öffentlichen Lebens‘ (ob nackt oder gut gekleidet in Uniform, Tiara oder Cut) sich daran ein Beispiel nehmen werden.

Wegen meiner muß ein Mensch wie Mr. Polanski durchaus keine drakonischen Strafen erleiden oder für sein Leben gebrandmarkt werden. Das gesetzlich angesetzte Strafmaß genügte durchaus. Drückt er sich aber davor, würde ich ihm die Uhrzeit nicht nennen, auch wenn ich ein dutzend Schweizer Uhren am Arm trüge und sein Zug in wenigen Sekunden führe. Und würde ihm schon gar kein Penthouse und keine Hundehütte verkaufen, nicht für keine Summe, die seine Anwälte mir dafür böten. Nach Verbüßung seiner Strafe jedoch hätte ich nichts dagegen, ihn meinen Wagen einparken oder den Rasen vorm Rathaus trimmen zu lassen.

Die Neigung der Blitzlichtgesellschaft, mit den moralischen und juristischen Verfehlungen ihrer Prominenz schenkelschlagend und augenzwinkernd umzugehen, solange diese ‚ja nur‘ zu Lasten einer abstrakten Allgemeinheit oder Namenloser (vorzugsweise Mädchen und Jungen) erfolgen, hat mich in anderen Fällen der jüngeren Vergangenheit bereits zur Weißglut gebracht. Einziger Trost ist mir seit einiger Zeit, daß zunehmend auch jene Kleinanleger zu spüren bekommen, wer hier wen wovor schützt und wen wovor nicht, die bisher noch glaubten, ihre Eigenheime auf der bessern Seite des Rheines erbaut zu haben.

Zugegeben, eine ausgesprochen rachsüchtige und emotionale Haltung, für die ich sicherlich nicht den Anspruch erhebe, sie sei politisch korrekt. Nur daß sie eine ist, die einem Mr. Polanski in seinem Schweizer Ruhesitz herzlich wenig Gutes gönnt.

SammelmappeJuli 12th, 2010 at 20:26

Du findest mehr Worte für Deine Position und ich kann die meisten davon sehr gut nachempfinden und deiner Argumentation folgen.

Vielleicht beruhen meine Gefühle einzig und allein (?Ich bin mir nicht sicher?) auf der Grundlage des Lebensschicksals von R. Polanski. Ich kann ihn nicht sehen als einen Mann mit Schweizer Ruhesitz. Für mich ist das Bild des Jungen, der das Warschauer Ghetto überlebt hat, sehr deutlich im Vordergrund und das Wissen, dass das Schicksal noch mal in unvorstellbarer Weise über sein Leben ?eingebrochen? ist.

Trotzdem: Es ist nicht nur der Mitleidsfaktor. Auch das Nicht-Vertrauen in das Rechtssystem des amerikanischen Staates, überhaupt in die staatlichen Rechtssysteme. (Gut, den Nachsatz würde ich bei einem anderen Täter nicht gelten lassen. Da würde ich meinen: wir müssen es halt mit dem Rechtssystem versuchen, das wir haben.)

Ich bin nicht ganz zufrieden mit meinen Erklärungen, aber mein Gefühl ist in dieser Hinsicht deutlich.

IrisJuli 13th, 2010 at 18:01

Hmm, wo ist in welchem Gesetz „Rache“ verankert; was wohl das Opfer jenseits öffentl.Kommunikation empfindet und was hat d.Vorgeschichte d.Täters mit dessen Straftat zu tun!?

ClaudiaJuli 13th, 2010 at 20:22

In der deutschen Strafgesetzgebung sind einerseits die Strafe und andererseits das Bedürfnis des Staates nach Rache ganz offiziell die Grundsätze der Verurteilung. Beim Jugendstrafrecht kommt dann noch als dritter Aspekt die Erziehung dazu.

Jedes Opfer empfindet anders und daher lässt sich das nicht so pauschal sagen. Im Fall Polanski hat sich das Opfer allerdings schon mehrfach zu Wort gemeldet und sich dafür ausgesprochen, dass das Verfahren eingestellt wird.

Was die Vorgeschichte des Täters mit dessen Straftat zu tun hat? Alles und nichts. Gilt nicht für alle Menschen, dass unsere Vergangenheit unmittelbaren Einfluss auf unser Leben, unsere Persönlichkeit und unsere Handlungen hat? Das ist doch offensichtlich.
Aber vielleicht meinst du, was hat die Beurteilung der Straftat mit der Vorgeschichte
des Täters zu tun? In meinem Fall – denn ich bin keine Richterin und muss nicht objektiv sein – kann ich sagen, dass der Zusammenhang in der emotionalen Bewertung liegt.

ClaudiaJuli 13th, 2010 at 20:33

Sie nennen es natürlich nicht Rache – sondern Vergeltung

schneeschmelzeJuli 13th, 2010 at 21:44

Sorry, Claudia, von Rache oder Vergeltung sprechen die Strafjuristen heute nicht mehr. Manche am politisch rechten Rand meinen zwar immer noch, Strafe wäre für andere Täter abschreckend (sog. positive Generalprävention), aber der Zusammenhang war nie empirisch nachweisbar.

Grundlage für die Strafzumessung ist im deutschen Recht die Schuld des Täters. Und die Strafe bezweckt den Ausgleich von Unrecht, das durch die Tat geschehen ist, und soll insgesamt dazu dienen, Gerechtigkeit (wieder) herzustellen. Im Unterschied dazu ist der Zweck, eine bestimmte Handlung überhaupt unter Strafe zu stellen, der Schutz von Rechtsgütern (Leben, Vermögen usw.).

Was Polanski angeht: Ich kann nicht beurteilen, ob die Entscheidung, ihn nicht an die USA auszuliefern, rechtmäßig war, weil ich die rechtlichen Grundlagen, aufgrund derer sie getroffen worden war, nicht kenne. Ich finde schon, daß er sich seiner Verantwortung stellen sollte. Sein Opfer wird sich auch sein Leben lang an die Tat erinnern, und sie hat ihr Leben ganz sicherlich auch mit geprägt.

irisJuli 13th, 2010 at 22:08

Schneeschmelze hat schon eine Teil meiner Antwort zur juristischen Seite, Thema „Rache“, vorweggenommen.
Meinen Hinweis zu den Empfindungen des Opfers möchte ich als Denkanstoss sehen, mehr nicht -darüber wage ich nicht einmal zu spekulieren. Ich denke, dass gerade an dieser Stelle die öffentliche Kommunikation von den privaten Aspekten differenziert werden muss; auch hinsichtlich der mgl.Einschätzung öffentlicher Äußerungen des Opfers.
Zum Aspekt Tätervorgeschichte meine ich den direkten Bezug zur Straftat. Jeder Mensch hat seine Vorgeschichte. In Verfahren nach Jugendrecht können derartige Punkte Berücksichtung finden, aber in diesem Fall … – sicher, das ist eine persönliche Sicht.

SammelmappeJuli 14th, 2010 at 14:47

Ich kann mich eurer Einschätzung zu unserem Strafrecht nicht anschließen. Für mich ist der Vergeltungscharakter noch sehr deutlich zu erkennen.

Die Empfindungen und der Schaden den das Opfer erlitten hat sind selbstverständlich nicht wieder gut zu machen – und du kannst mir glauben, dass ich dafür keinen Denkanstoß benötige.

Trotzdem ändert sich dadurch nichts an meiner emotionalen Einstellung zu dem Fall.

[…] es einfach so stehen lassen können, wenn man ihnen Empfindungen zu einer Situation schildert. Das ist mir an den Kommentaren zu meinem Eintrag über die Freilassung von Roman Polanski aufgefallen. Der Eintag beschäftigt sich ausschließlich mit meinem Empfinden zu einem Ereignis, […]

schneeschmelzeJuli 14th, 2010 at 17:57

@Claudia, der Gedanke der Vergeltung ist seit der Aufklärung vom Tisch. An seine Stelle trat der Schutz von Rechtsgütern als Zweck des Strafrechts. In der Praxis habe ich in Strafsachen eher erlebt, daß besser situierte (bürgerliche) Täter, mit denen sich das Gericht irgendwie identifizieren kann, bei gleicher Schuld tendentiell besser davonkommen als Täter, die aus der Unterschicht stammen (die vom Bürgertum traditionell verachtet wird). Es gibt immer wieder eine faktische Differenzierung des Strafmaßes nach der Schichtzugehörigkeit.

SammelmappeJuli 14th, 2010 at 19:11

Da sprichst du den Aspekt der sozialen Ungerechtigkeit an, der selbstverständlich bei der Verurteilung von Straftätern immern noch eine Rolle spielt. Schichtzugehörigkeit, Nationalität, Geschlecht spielen da eine Rolle. Das ganze Programm der Diskriminierungen, die wir auch in der Gesellschaft auf allen anderen Ebenen spüren. Das ist schon klar.

Leider.

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