Reisefieber
Das Reisefieber hält sich in Grenzen. Die Wettervorhersage sieht trübe aus. Aber solange ich nicht frieren muss, stört mich das nicht. (ich sollte der Ehrlichkeit halber hinschreiben: solange ich nicht friere, mich der Wind nicht durchschüttelt und ich nicht pudelnass werde)
Ich freue mich auf die Auszeit und wenn ich eine Anspannung spüre, dann die, die sich auf die neue Wohnung bezieht.
Werde ich Näheres wissen, wenn ich wieder zurück bin? Wird der Zeitplan hinhauen? Werde ich nicht zu viel Hektik produzieren? Werde ich mich einen Monat lang mit Einrichtung, Möbel und Tapezieren beschãftigten können? Oder werde ich nach einigen Tagen aufgeben, mich auf die Kisten setzen und lesen oder träumen? Meine Bodenhaftung ist mit den Lebensjahrzehnten nicht größer geworden. Im Gegenteil: mein Unwille mich mit materiellen Dingen beschãftigten zu müssen wächst an. Im hohen Alter wird er dann wieder die Stufe meiner Kindheit erreichen.
Als Kind habe ich es nie verstanden, warum wir alle nicht einfach nur Seelenwesen sind. Wenn die Seele doch das Wertvollste am Menschen ist – und davon war ich überzeugt – und der Körper so viele Einschränkungen und Leiden mit sich bringt (nicht fliegen können, Kinder, die hungern, Menschen, die andere im Krieg verletzen) dann wäre es doch besser, wir wären gleich als Seelenwesen auf die Welt gekommen.
Nun ja, in der Zwischenzeit habe ich mich von der Notwendigkeit des körperlichen Daseins überzeugen lassen. Etwas versöhnt auch von den sexuellen Annehmlichkeiten. Trotzdem finde ich, dass die materielle Welt zu viel Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Wirklich reich sind Menschen, die sich wenig mit dieser Welt auseinander setzen müssen.
(aber nein: das ist kein Plädoyer für das Leben in Armut. Je ärmer Menschen sind, desto mehr müssen sie sich mit der materiellen Welt auseinander setzen. Das ist ein Plãdoyer für Wohlstand ohne Konsumrausch.)
Deine Aversion gegen monatlanges Beschäftigen mit Wohnraumgestaltung kann ich gut nachvollziehen! Ist denn die neue Wohnung nicht renoviert? (meist muss man doch renoviert übergeben…).
Wie wärs mit einfach alles weiß streichen, das Nötigste rein stellen und fertig?
Die Idee, als bloßes „Seelenwesen“ zu leben, teile ich trotz der Beschwerung durch Materielles nicht. Es ist denkunmöglich, denn schon die Kategorien „oben“, „unten“, „vorne“, „hinten“ setzen einen Körper voraus. Auch „gut“ und „böse“ machen wir letztlich daran fest, wieviel Leid oder Wohlgefühl etwas auslöst – und womit fühlen wir das? Mit dem Körper!
Ohne Körper kein Genuss. Wenn ich manchmal im Garten auf der Bäderliege entspanne, genieße ich den zunehmenden Stillstand der höheren mentalen Funktionen zugunsten des „reinen Gewahrseins“: Sonne auf der Haus, leichter Wind, die Gerüche des Frühsommers, das Summen der Insekten und Vögelgezwitscher…. welch eine wunderbare Entlastung vom Denken und Sorgen! Und alles durch die Sinne….
Die Wohnung wird perfekt modernisiert übergeben, allerdings ohne Tapeten und Farbe. Kompliziert wird das alles nur, weil auch im Renovierungszeitraum gilt: ich muss arbeiten und mein Einzugsradius bleibt ca. 150 km mit der Vielfalt der öffentlichen Verkehrsmittel = manchmal sechs verschiedene Tarifpartner.
Aber ich will nicht jammern, nur mitteilen, dass ich froh bin, wenn auch das vorbei ist.
Die Idee als Seelenwesen zu leben, bleibt leider der Kindheit bzw. Dem Greisenalter vorbehalten, da die Realität die Neigung zur harten Überzeugungsarbeit besitzt. Dennoch fühle ich ein gewisses Wohlbehagen bei der Erinnerung an das Ausdenken dieser Idee.
Wobei ich im Blogbeitrag noch den Aspekt des Unsichtbarseins außer Acht gelassen hatte. Unsichtbar zu sein erschien mir als einer der größten Vorteile des Seelenwesens.
Heute sagt mir mein Verstand: so ein Seelenwesen, ist das, was sich manche Menschen als Tote Wesen vorstellen.
Meiner sagt mir: wenn du tot bist, bist du mausetot.
Und falls nicht: dann ist es gut, dass ich es jetzt nicht weiß.