Journal27082020
Ich tauche ab, tauche auf. Hole Luft, weil ich kein Seepferdchen bin.
Tauche unter, mache weiter.
So geht es einer, der der Urlaub fehlt.
Ich tauche ab, tauche auf. Hole Luft, weil ich kein Seepferdchen bin.
Tauche unter, mache weiter.
So geht es einer, der der Urlaub fehlt.
Eine Hommage an die Traurigen und die Müden schreibt Margarete Stokowski in ihrer aktuellen Kolumne.
Ich kann sie gut brauchen in diesen Tagen, bestehe ich doch fast nur noch aus diesen beiden Zutaten. Ein Mix aus Traurigkeit und Müdigkeit gegen den die Schwerkraft ein Leichtgewicht ist.
Tatsächlich. Die Blätter am Baum vor meinem Fenster werden gelb. Von 100 auf 0. Vom Hochsommer zum Herbst.
Corona-Herbst. Das wird ein Spaß.
Mir fehlt ein Loch, in das ich mich verkriechen kann. Ein Versteck, das mir Schutz bietet. Es soll nicht sein, es darf nicht sein.
Ich sammle die Kraftreste ein, die übrig geblieben sind. Die Krümmel, die herunterkullern.
Der Baum vor meinem Haus sieht müde aus.
Ich bin sein Spiegelbild.
Nie ist klar, ob das Suchen oder das Finden das Wichtigere ist.
„Eins der wirksamsten Verführungsmittel des Bösen ist die Aufforderung zum Kampf.“ Kafka – wie immer mitten ins Herz.
Das Schweigen über die Infektionen dröhnt in meinem Kopf. Es muss jetzt endlich raus, wir sind bei mehr als 2.000 Neuinfektionen am Tag und die Testreagenzien gehen aus.
Nach einer Pandemie gibt es nur Besiegte, steht in „Die Welt im Fieber“ geschrieben. So ist es wohl. An diesen Gedanken muss ich mich noch gewöhnen.
Jutta packt die blanke Wut und ich verstehe sie gut:
In diesem Land ist Bildung immer sonntags in pastoralen Reden wichtig und montags scheißt ihr gemeinschaftlich drauf und lasst uns seit Jahren in verrotteten Gebäuden, schlechtester Akustik und üblem Raumklima immer mehr und mehr und mehr Aufgaben erledigen, deren sich der Rest der Gesellschaft, nämlich ihr, elegant entledigen will.
Vielleicht entledigt ihr euch ja nun auch eines Teils des „faulen“ Lehrpersonals. Mal schauen.
Regen von der feinsten Seite. Beständig. Ohne Wind. Mit diesem typischen „Heute tränke ich die Erde für Euch“ Geräusch.
Wie könnte eine schöner Aufwachen nach diesen Hitzetagen!
Der Himmel streicht sich sein ungewohnt graues Gewand zurecht. Die Venus dahinter gut versteckt. Vielleicht wird doch noch alles gut. In dieser Zwischenwelt.
Der Herbst wird ein Schwergewicht. Soweit traue ich mich die Zukunft vorherzusagen.
Das Tabuthema kreist über meinem Kopf wie ein Geier. Immer bereit sich tief in mein Herz zu stürzen und mir ein Teil davon herauszureißen.
Verzweifelt suche ich nach einer Strategie des Vertrauens und gerate in einen Sumpf.
Was habe ich getan? Ich habe die Arbeit des Frankfurter Gesundheitsamtes gegoogelt.
Beruhigend: es ist sehr groß, mit viel Ressourcen an Personal, Geld, Technik und Software ausgestattet. Es nimmt eine Sonderrolle ein, weil es auch für den Frankfurter Flughafen zuständig ist.
Erschreckend: Die Führung des Amtes. Ich bin fast vom Glauben abgefallen. Ich las die Interviews des Leiters des Gesundheitsamtes in verschiedenen Medien vom Februar, vom März, vom Juni usw. Darin vertritt er alle nur denkbaren Plattitüten – oder besser ausgedrückt Verharmlosungen – die jemals die Runde machten. An der Ausbildung kann es nicht liegen, denn er ist Virologe. Aber vielleicht auf einem anderen Planeten?
Meine Strategie der Vertrauensbildung muss ich daher noch mal überdenken.
Es hat keinen Sinn mehr, länger als 48 Stunden im Voraus zu planen. Satz mit x. Das war wohl nix.
Dienstlich kommt immer was dazwischen, es ist zum Heulen. Oder zum Lachen, wie auch immer eine das drehen und wenden mag. Das Tabu-Thema drängt sich in jede Ritze meines Lebens. Nimmt Raum ein. Nimmt überhand.
Als Ausgleich lese ich mich in einen Rauschzustand. Lese immer mehr und immer schneller.
Nass bis auf die Unterwäsche geworden. Es kommt dabei nicht wie sonst das leichte Sommerregengefühl auf. Das Grundgefühl bleibt gedämpft. Aber ich schweige. Hab mir das Schweigen selbst versprochen. Vierzehn Tage bis ich platze. Nützt ja nichts und hilft ja nichts.
„Wie gerne hätte ich einen ganz gewöhnlichen langweiligen ununterscheidbaren Sommer gehabt. Solche Zeit ist anscheinend vorbei, die Seltsamkeiten werden uns nun begleiten.“
Sarah Kirsch in Schwingrasen
Die silberne Mondsichel wirkt zerbrechlich hinter den Wipfeln. Ganz zart, vor dunklem Hintergrund. Ich hole mir die Brille und hänge mich über die Fensterbank. Die Sterne funkeln trotz der Lichtverschmutzung nachdrücklich am Himmel.
Wenn ich mich sehr, sehr anstrenge imaginiere ich rasende Sternschnuppen über mir. Mit dem Wünschen halte ich mich zurück.
Zu viel Selbstbetrug bringt Unglück.