Übermorgen werden die Sirenen heulen und die Warn-App ihre Meldungen ausspucken. Sie entdecken den altbewährten Katastrophenschutz neu. Kann nichts schaden, wenn alle ihr Klopapier checken und durchzählen.
Der Spätsommer zeigt sich in der Zwischenzeit von seiner schönsten Seite und ich sehe ihm am Feierabend vom Sofa aus zu. Die Welt dreht sich schnell, aber mein Atem reicht nicht aus, um ihrer Drehung zu folgen. Jeden Morgen raffe ich meine Energie zusammen und tue, was ich glaube, tun zu müssen.
Die Welt zusammen halten.
Niemand kann sagen, dass ich meine Ziele zu niedrig ansetze.
Es muss nicht viel sein, was ich besitze. Aber schön.
Der Satz ist kein bisschen wahr, aber die Hintergrundmelodie zu meiner neuesten Anschaffung: Hab den Rucksack ausgetauscht mit dem ich durch die morgendliche Stadt streife.
Jetzt fehlen noch neue, rosige Schuhe für meine geschundenen Füße. Aber das ist ein harter Kampf.
Ich halte den Kopf über Wasser. Irgendwie. Weiß selbst nicht so genau, wie ich das mache. Ich taste mich voran. Meinen müden Kopf im Gepäck. Schöne Vorstellung, nicht wahr? Die Müdigkeit nimmt Leib und Seele auseinander.
Auf dem Balkon fliegen die Meisen die Futtersäulen an. Sie kacken ihr Badewasser schneller voll, als ich es nachfüllen kann.
Alt werden ist nichts für Feiglinge, sagte sie und setzte damit einen Rahmen.
Wer nicht alt werden will, muss früh sterben, sagten andere und legten damit eine fesche, neue Abstraktionsebene fest.
Alt werden ist ein Privileg, erfuhren wir beim Lesen der Gedenktafeln und der Stolpersteine.
Alt werden tut weh, entnehme ich den Blogs und meinem persönlichen Umfeld.
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Ich werde alt und bin jetzt alt und finde mich in diesen Erzählungen nicht wieder. Mein alt werden ist begleitet von einer unendlichen Plage der Müdigkeit. Ich bin psychisch müde. Ich bin mental müde. Ich bin politisch müde. Ich bin diametral so was von entfernt von diesen „jungen Alten“, dass ich bald eine neue Zielgruppe aufmachen kann.
Lese die Briefe von Annette Kolb und verschließe Augen und Ohren vor dem Lärm aus Berlin. Erfolglos. Die Reichsflaggen und der Sturm auf den Reichstag dringen dennoch in mein Gemüt.
Geschichte, die ihren Gestank wiederholt.
Ob wir es dieses Mal schaffen, zu retten, was uns wichtig und teuer ist?
Demokratie ist ein zerbrechliches Gebilde. Sie benötigt viel Pflege und Zuwendung, damit sie nicht zerbröselt. Heute Abend möchte ich zuversichtlich sein. Von ganzem Herzen und mit ganzer Seele vertrauen, dass der Alptraum nicht ein zweites Mal über uns kommt.
(Und irgendwann möchte ich dieses Gerichtsurteil verstehen, das die Demonstration zuließ. )