Es regnet im Covid-19-Krisengebiet. Eigentlich wäre die beste Maßnahme gegen die Zunahme der Neuinfektionen, wenn sich die Stadt von ihrem Corona-Verharmloser an der Spitze des Gesundheitsamtes verabschieden würde.
Dienstlich setzt bei mir eine leichte Nervosität ein. Mich erinnert so vieles an den März nur weiß ich jetzt, dass es keine Notbremse mehr gibt, die irgendwer ziehen kann.
Also ruhig bleiben und nicht nervös werden. Haha. Guter Ratschlag.
Der leise Dauerregen mit dem leisen Pritsche-Geräusch löst bei mir ein Wohligkeitsgefühl aus. Ich denke an die stillen Tage. Die schönen Tage. Es gab so viele. Im Kopf summen die alten Kitschsongs dazu.
Frankfurt ist roter Bereich. Es könnte auch noch der dunkelrote Bereich kommen. Exponentielle Prozesse haben ja ihren eigenen Charme. Ich bin so müde! Keine Neuigkeit, aber doch erwähnenswert.
Mir geht das „Ihr gegen wir oder ich Gedöns“ so was von auf den Kecks. Pandemie ist scheiße. So oder so. Es wäre zu schön gewesen, wenn wir es geschafft hätten, das Virus auszumerzen. Aber knapp daneben ist auch vorbei.
Das Leben zurechtrupfen. Sich achtsam mit dem letzten Lebensviertel beschäftigen. Gar nicht so einfach, da eine Linie zu finden.
In meinem Innern bin ich Kind, junge Frau, Schwester, Tante, Tochter, Lernende, Erwachsene, Arbeitende, Kollegin und immer wieder auch Lesende. Manche Rollen werden mir bleiben, vieles ist jetzt schon vorbei und nur noch nicht vergessen.
Die Fülle der gewachsenen Identitäten in mir, suggeriert das weitere Anwachsen der Möglichkeiten, Chancen und Weichenstellungen. Aber so ist das nicht. Auch wenn das gerade jetzt im Arbeitsleben unter der Last verschüttet ist: der Weg wird schmaler, enger und holpriger. Am Wegesrand liegen noch zahlreiche Versuchungen, Schätzchen und Verlockungen. Aber die führen doch nur ins Gestrüpp, weit ab vom Weg ins unzugängliche Gelände.
Jetzt sind die leisen, die stillen Entscheidungen notwendig. Die behutsamen, die klugen. Die vorsichtigen Schritte. Damit ich mich noch lange an der Lebenslandschaft erfreuen kann.
Frankfurt schleicht sich in den knallroten Bereich vor. 48 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner und bei mir zeigt die Corona-Warn-App zum ersten Mal eine Risikobegegnung an.
Zum Glück immer noch in grüner Farbe. Es gibt eigentlich nur eine einzige Möglichkeit für diese Begegnung, die Bahnfahrt zu meinen Eltern. Nach zwei Monaten Besuchspause. Zwei Monate sind in diesem Gesundheitsstadium viel Zeit. So wie die Infektionszahlen exponentiell ansteigen können, kann sich auch ein Gesundheitszustand exponentiell verschlechtern.
Aber Jammern gilt nicht. Kopf hoch und durch.
Krönchen noch richten, falls es eine Prinzessin trifft.
Den Herbst hatte ich eindeutig gemütlicher in Erinnerung. Draußen keuscht der Wind und mein Regenhut zeichnet mir eine rote Linie quer über die Stirn. Immerhin: weggeflogen ist er nicht.
Das mit den roten Linien passt gut in die aktuelle Zeit. Denn es werden ständig rote Linien gezogen und überschritten. Da ist es doch eine feine Sache, sich mit körperlichen Einsatz den eigenen roten Linien hinzugeben.
Heute morgen nur mühsam in den Tag getaumelt. Die Nachwirkungen der Allergietablette. Manchmal werde ich schwach bei frischem Brot und dann beginnt die Allergielotterie.
Frankfurt hat sich über Nacht in einen roten Bereich auf der Corona-Karte verwandelt. Bei mir kehrt eine abstrakte Sorgenwolke zurück.
In den USA hat es nun auch den Präsidenten erwischt. Wenn es in diesem Zusammenhang heißt „Der mächtigste Mensch der Welt“, zucke ich zusammen. Wer weiß schon genau, ob er noch der mächtigste Mensch ist? Den Rang laufen ihm im Moment gerade mehrere Menschen ab. Ein gefährlicher Mensch bleibt er ohne Frage.
Dieser Tag lässt sich nicht dokumentieren ohne der 1.000.000 Toten zu gedenken, die an Corona gestorben sind.
Und das Sterben wird weitergehen. Die Menschheit ist nicht gut darin, sich umsichtig und fürsorglich zu verhalten.
In meinem Alltag versuche ich die Pandemie möglichst auszublenden. Vor allem versuche ich, andere Menschen nicht für ihr Verhalten zu kritisieren. Auch nicht innerlich. In dieser Hinsicht ist mir Twitter wirklich eine Warnung. All diese Menschen, die sich das Recht herausnehmen über andere Menschen zu urteilen und zu poltern. Ja, gibt viele Likes, wenn so hoch vom Ross nach unten geätzt wird.
Aber wer macht schon immer alles richtig? Wer kennt die Lebensrealität von Menschen beim flüchtigen Vorübergehen?
Ja, ich habe auch eine Meinung, meine festen Überzeugungen. Ziemlich starr sogar, gerade was die Infektionsgefahr anbelangt.
Aber der Nabel der Welt bin ich zum Glück noch nicht.