Überraschung darüber, dass der Brandstifter ein Feuer legt. Noch mehr Überraschung darüber, wie wackelig das Gebäude Demokratie plötzlich ist, wenn drinnen einer sitzt, der die Demokratie verhöhnt.
Plötzlich bricht einer den Pakt und die anderen drehen sich ziellos im Kreise.
Tag x vor Frühlingsanfang. Gestern gab es einen 45minütigen Meisentanz auf meinem Balkon. Sie flirten, sie raufen, sie necken sich und stürzen gemeinsam in die Höhe, in die Tiefe. Sieht nach sehr viel Spaß und Übermut aus.
Das Reallife nimmt in der Pandemie erkennbar die Score-Kultur der Spiele auf. Wir zählen die Infektionen, die Toten, die Klinikbetten. Die Logistik der Impfdosen wird beobachtet, die Impfraten werden verglichen und es breitet sich Unmut aus, wenn die Spieler*innen merken, dass sie nicht schnell genug in die nächste Impfkategorie gelangen.
Die Corona-Warn-App hat schon länger die Kontakt-Tagebuch-Erweiterung und ich bemerkte es nicht, weil ich nicht runterscrollte.
Nun ja, die letzten drei Wochen hätte ich auch nichts eintragen müssen. Aber jetzt wird es arbeitsbedingt wieder bewegter. (Minimal bewegter.)
Wie wird mein Immunsystem wohl reagieren, wenn die Kontaktbeschränkungen zu Ende sind und die Viren wieder fröhlich ihrem Austausch frönen?
Die stillen Tage ziehen vorbei. Der Alltagslärm kündigt sich durch die Timeline an. Es werden harte Tage werden. Schrill und laut schreit sich der Zeitgeist durch das Pandemiejahr. Eine Gesellschaft mit Panikattacken.
Mit der berüchtigten Unfähigkeit zu Trauern und dem Laster der Besserwisserei.
(Ich hab Kraft getankt, wieviel wird die nächste Arbeitswoche zeigen.)
Die Gemütsschaukel pendelt mit mir zwischen den Gefühlshöhepunkten hin und her. Die Feiertage haben mich in ein Null-Kontakt-Risiko-Glück eingesponnen. Große Ruhe, tiefe Friedfertigkeit und ganz viel Liebe im Überfluss.
Die Twitter-Timeline tut mir im Moment nicht gut. Andere Medien auch nicht. Gut tut mir, dass keine mir nahestehenden Menschen, in die Welt der Corona-Kriminellen abgewandert sind. Denn das wären auch schmerzliche Verluste.
Mittendrin geht es mir am Besten, wenn ich Augen und Ohren verschließe. Ich bin dann glücklich in diesen Tagen.
So viel Trauer. So viel Schmerz. So viel Empathielosigkeit und eine unterirdische Impfdebatte.
Zwei Jahrzehnte zynische menschenfeindliche Wirtschaftspolitik in Kombination mit einer durchgehenden toxischen „Debatenkultur“ in den öffentlich-rechtlichen Medien waren eine fruchtbare Saat für diese diabolische Mischung.
Immer noch machen die Politiker*innen die Corona-Warn-App schlecht, statt für sie zu werben und sie weiter zu verbessern. Immer noch wird von Lockerungen gesprochen, obwohl die Pandemie gerade in eine heißere Phase gewechselt ist. Immer noch wird viel zu wenig erklärt und die Menschen werden alleine gelassen.
Es ist furchtbar was da jeden Tag passiert. Eine Tragödie.
Jetzt treibe ich komplett durch Raum und Zeit. Innerlich abgekoppelt von allen Desaster. Mein Körper und mein Geist schaffen sich Freiräume. Ich schlafe viel und zu seltsamen Tageszeiten.
Die Tage verfliegen ruhig und kontaktlos. Mein Tag und Nacht-Rhythmus verschwimmt. Das ist ein gutes Zeichen. Aufwachen und Lesen. Wieder einschlafen. Aufwachen und Schach auf Twitch schauen. Dösen und dann im Zimmer kramen. Das Paradies kommt ohne Zeitplanung aus, so viel ist schon mal klar.
Versucht die Pandemie heute mal vor der Wohnungstür und aus dem Kopf zu lassen. Gelingt mässig, aber immerhin. Ab und zu klappt es.
Die Kaltfront hat es heute bis zu uns geschafft. Hab die wärmste Winterjacke rausgeholt, um gewappnet zu sein.
Zwischendurch bin ich für einige Momente glücklich. Bis die Erkenntnis über das Ausmaß der Katastrophe mich wieder erstarren lässt. Die Anzahl der Impfdosen, die gerade auf den Weg in die jeweiligen europäischen Länder geschickt wird, ist so gering, dass es mir die Sprache verschlägt.
Sie versagen auf allen Ebenen und kommen trotzdem aufrecht und angesehen aus dem Desaster heraus.
Es ist und bleibt zum Heulen. Zum Weinen und zum Schreien. Nur heute nicht mehr. Morgen auch nicht.
Es wird noch einiges passieren bis wir das rettende Ufer erreichen.