Journal12052021

Die Tage sind lang und anstrengend. Ich laufe morgens in die Stadt durch den sanften Regen. Die Vögel schlagen Alarm und am Himmel leuchtet ein Silberstreif. Zähle die Tage, zähle die Impfungen, zähle jeden Hoffnungsschimmer.

Kaum zu glauben, dass jemals alles gut gewesen sein soll.

War es wahrscheinlich nie.

Die Flieger fliegen wieder über Israel und dem Gazastreifen. Krieg. Fast schon komplett verdrängt. Jetzt ist er wieder da.

Journal07052021

Seit ein paar Tagen geht mir ein Gedanke durch den Kopf, der immer wieder kommt. Obwohl ich ihn jedesmal heftig und nachdrücklich verjage: Was wäre gewesen, wenn der Krankheitsverlauf von Covid zwar prozentual genauso tödlich verlaufen würde, aber keine Intensivbehandlung in Frage käme? Wenn es genauso viel Ansteckungen, Todesfälle und Longcovid-Symptome usw. gäbe, ein Teil der erkrankten Menschen aber einfach nach einer kurzen Krankheitszeit sehr plötzlich verstürben?

Sie hätten die Pandemie dann laufen lassen, sie hätten die Menschen sterben lassen, da bin ich ganz sicher. Sie hätten sie geopfert, genauso wie einige es am Anfang der Pandemie ja auch diskutieren wollten. Das ist der Punkt, an dem ich diesen Gedanken hartnäckig wegschiebe, damit sich das Szenario nicht weiter in meiner Seele festfrisst. Es ist zu stimmig. Zu präsent. Und auch dann wären ja später auch die jüngeren Menschen gestorben oder eben mit Longcovid sehr krank geworden. Es wären so viele mehr geworden.

Diese Politik ist so durch und durch verroht, dass mir davor graust.

Sorry, hier sind die Themen immer noch etwas düster. Düsterer als meine persönliche Stimmung. Selbst beim Thema Impfen bin ich gelassener geworden. Obwohl ich es mittlerweile sehr zynisch finden, dass ich japsend unter der FFP2-Maske mir die Held*innen-Geschichten anhören soll, wer wie wo was gedreht hat, um an seinen Impftermin zu kommen.

Nun ja, ich harre der Dinge, die da kommen und lese in der Zwischenzeit mit Vergnügen die schäumenden Statements der verschiedenen Kassenärtzlichen Vereinigungen. Sie sehen mit jeder im Impfzentrum verimpften Dose ihre Einnahmen wegschwimmen. Dabei sind die Impfzentren doch der letzte Garant dafür, dass wenigstens ein Teil der Priorisierungen korrekt läuft.

Nach der Pandemie könnte Deutschland ruhig mal darüber nachdenken, dass eine zusätzliche staatliche medizinische Infrastruktur im Gesundsheitswesen durchaus Vorteile hat.

Journal04052021

Der Wind schüttelt das Leben kräftig durch. Peitscht die Bäume. Lässt die Pollen tanzen.

Und er singt. Wie er singt!

Der Mai lacht uns aus und flüstert heiser: November.

Aber wir kennen das schon. Lange macht ihm das selbst keinen Spaß.

Journal03052021

Zu Beginn der Pandemie hab ich mit mir einen Deal geschlossen und mir versprochen, dass ich mich nicht über das Corona-Verhalten meiner Mitmenschen aufrege. Erstens, weil sie vielleicht Gründe für ihr Verhalten haben, die sich mir nicht gleich erschließen. Zweitens, weil ich auch nicht allwissend bin und meine Auslegung der Regeln vielleicht daneben ist. Drittens, weil ich eine regelbesessene Person bin, die Regelverletzungen nur schwer erträgt und das für die Corona-Zeit rund um die Uhr Aufregung bedeutet hätte. Viertens, weil ich nie vergessen wollte, dass einzig und allein die Politik, die Verantwortung trägt, weil sie nicht die einzige verantwortungsvolle Strategie einschlug, die in dieser Situation angemessen gewesen wäre. Die NoCovid-Strategie.

Bis auf wenige Ausnahmen ist mir das gelungen. Nur wenn meine Angst überhand nahm, fing meine Wut an, sich ihren Weg zu Bahnen. Zwei- oder dreimal war das in all diesen langen Monaten.

Das Schlimmste an der Pandemie bleibt für mich, das destruktive Politikgeschrei. Jetzt wieder dieses Gezerre um angebliche Rückgabe der Freiheitsrechte für Geimpfte. Sind doch nur ein paar Wochen, sagen die, die jede steile Kurve für eine Exponentialfunktion halten. Addieren können sie auch nicht. Im Besten Fall sieht die Rechnung für Nichtpriorisierte ganz anders aus.

Es ist nicht eine Frage von Wochen bis die letzten Impfwilligen den Status „Durchgeimpft“ erhalten, sondern von gut einem halben Jahr.
Registrierung im Juni, erster Termin Juli oder August, zweiter Termin bei Astra dann Okt oder Nov, dann noch zwei Wochen drauf.

Hauptsache bis dahin ist die Demokratie gut durch geschmort.

Scheint ja aktuell die Hauptaufgabe von Politik und Medien zu sein, die Reißfestigkeit der Gesellschaft zu testen.

Journal02052021

Auf französisch heißt das Impfzentrum Vaccinodrôme. Hört sich gleich viel weltläufiger und freier an.

Mir ist die Schutzzone von Nora Bossong über den Weg gelaufen. Ich lese wie gebannt in diesem Roman und denke mir: Wie gut kann eine schreiben! Und dann noch diese gewichtigen Themen. UN, Friedensverhandlungen, Bürokratie, Massaker, Liebesgeschichte in lyrischer Sprache. War mir nicht klar, dass das möglich ist.

Außerdem erinnerungswert: Trauriger Todestag von Clara Immerwahr. Die erste in Deutschland promovierte Chemikerin und spätere Ehefrau von Fritz Haber, die sich das Leben nahm. Auch über sie gibt es noch so viel zu wissen.

Journal30042021

Mein Leben liegt aufgefächert in mir in Erinnerungsschubladen. Sortiert nach Lebensdekaten und allerlei Kategorien. Kindheit, Jugend, junge Erwachsene, Trennung, Zweisamkeit, Freundschaft, Urlaub, Büro Büro, Herkunftsfamilie und noch einigen anderen. Seit einiger Zeit ist die Kategorie Alter dazugekommen. Sie wächst sehr schnell an.

In diesen Erinnerungen blättere ich. Ein riesen Schatz, der mein Leben kostbar macht. Die Zukunft, die vor mir liegt schmilzt unaufhaltsam davon. Und sie wird beschwerlich werden. Ab und an erhaschen ich einen Blick in das Zukunftsfenster und erahne, was es für mich bereit halten könnte.

Jedenfalls pflegte und hegte ich meine Erinnerungsschätze ein Leben lang. Eine Altersgabe für mein Alters-Ich? Ich pflanzte einen Erinnerungsgarten. Für mich. Alles nur für mich.

Märchenhaft

Heute Morgen ist ein Rotkehlchen vor mir hergehüpft. Von einem Pfosten bis zum nächsten. Immer wenn ich näher als 1m kam, flog es zum nächsten Pfosten.

Kam mir vor wie eine Märchenprinzessin, die einen Wunsch frei hat.

Journal28042021

Vier Tage schweigen in der Sammelmappe ist unüblich und nicht beabsichtigt. Liegt aber daran, dass mich die ewig gleichen Themen beschäftigen. Die ewig gleiche Ignoranz. Sie tritt jetzt gar in tausend verschiedenen Facetten auf. Es wird diskutiert und abgewogen, gefordert und zurückgerudert, aber der Kaiser ist immer noch nackt.

Es hilft nichts, laut Freiheitsrechte zu rufen, wenn das Virus sich dabei ins Fäustchen lacht.

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Gestern hab ich kurz in die mit dem Oscar ausgezeichnete Dokumentation mit dem Oktopus reingeschaut. Bin ungefähr bis zur Hälfte gekommen und hab mir dann den Schluss angeschaut. Mir gefallen ja so emotional überzogene Filme, Bilder oder Bücher, aber ganz ehrlich: als Märchenfilm ginge er gut durch. Als Naturdokumentation deklariert, zeigt er wie unsere Gesellschaft neben der Spur läuft.

Meine Güte! Die Fiktion liegt so deutlich auf der Hand, bekommt aber durch das vorgetragene Pathos so einen Anspruch Realität zu sein, das ist fast gruslig. Besonders weil der Film wirklich schön ist. Wunderschön. Ein wahrer Märchenfilm.

Schaut ihn euch an.

Journal24042021

Es wird vor gerudert und wieder zurück. Noch während die Aktion der Schauspieler*innen anlief, war abzusehen, dass sich am nächsten Tag einige entschuldigen und distanzieren. Es war ebenso abzusehen, dass das Feuer entfacht sein wird und sich nicht mehr austreten lässt. Die Regierenden wird es freuen. Keiner redet mehr über Pannen, Korruption und strategische Fehler.

Unglaublich, dass bei so vielen der Verstand ausgesetzt hat.

Ich hab ein neues Notizbook begonnen. Ein Lese- und Zitate-Tagebuch. Jetzt hab ich gleichzeitig drei in Gebrauch. Ein bisschen viel, deshalb zögerte ich etwas. Aber dann wollte ich mir das Glück ein neues Heft zu erinnern nicht nehmen lassen. Die ersten Seiten sind immer so feierlich.

Journal23042021

Ich hab seit ein paar Tagen das Gefühl, dass wir an einem Kipppunkt stehen und dass es gesellschaftlich brenzlig werden könnte. Jetzt habe ich eine Ahnung, wie so etwas in der Praxis aussehen kann.

Brandstifter*innen, die hinterher unschuldig in die Wäsche schauen und mit der Gewalt, dem Hass  und dem Unglück, die sie auslösen, nichts zu tun haben wollen.

Deutsche Kulturpriviligierte. OMG.

Ganz, ganz schlimme Aktion von viele gut bezahlten Mainstream-Schauspieler*innen. Der rechte Rand jubelt außer Rand und Band.