Im Traum geben mir ungeliebte Menschen Gepäck mit, das ich nicht ablehnen kann. Oder darf. Das ist nicht klar. In meinem Unterbewusstsein nimmt die Angst Anlauf. Ich verbot ihr das Betreten meines Gemüts schon vor einiger Zeit, jetzt versucht sie es durch die Hintertür.
Langsam erkenne ich das Motto der neuen Corona-Strategie: Volksbeschimpfung scheint gerade sehr in. Angewandt wird es von Politiker*innen und dem beschimpften Volk gleichermaßen lautstark.
Jetzt in der vierten Welle wird klar, dass meine schlimmsten Befürchtungen zu Beginn der Pandemie alle – wirklich alle – eingetroffen sind.
Noch hoffe ich, dass es mir gelingt, diese Weltenangst abzuschütteln. Sie ist unnützt. Ballast, den ich nie hätte aufnehmen sollen.
Heute Nacht im Traum flatterte ein Schwarm Stieglitze um mich herum und trieb mich vor sich her.
Meine Untergangsphantasien märchenhaft verpackt.
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Mich nach meiner letzten Lektüre daran erinnert, wie wichtig Freundlichkeit und Höflichkeitsrituale sind. Wie schnell sie eine Atmosphäre schaffen. Wie schnell das Gift um sich greift, wenn sie fehlen.
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Ich würde so gerne diesen Sonntag festhalten. Ihn anhalten. Die Bremse ziehen. Aber der Alltag wird weiter rollen. Diese vierte Welle wird alles durcheinander wirbeln. In der Zwischenzeit verhandeln andere einen Koalitionsvertrag, begleitet vom allseits beliebten Kröten schlucken. Jeweils im Tausch gegen eine Personalie. Da können es gerne ein paar Kröten mehr sein.
Und wieder rollt die Welle. Ungebremst in diesem Herbst. Die politische Verantwortungslosigkeit schreit zum Himmel, gemeinsam mit ihren Schwestern Korruption und kriminelle Energie.
Ich sehe weg und höre nicht mehr hin. Es gibt so viele Bereiche, da möchte ich einfach nicht mehr dazu gehören. Was hat das alles noch mit mir zu tun?
Es ist November. Grauer November. Ich zähle die Wochen durch und die Wochenenden. Gut planen ist eine solide Selfcare-Maßnahme. Keine Lücke im Kalender. So vieles auf Kante genäht. Und dann ist da noch die seit Jahren immer wieder aufgeschobene Entscheidung. Da braucht es einen Freundschaftscut. Einen Schnitt, der lange fällig ist. Wenn er nur nicht so weh tun würde.
Status: Leben in Zeiten einer Pandemie-Achterbahn.
Auf dem politischen Zielschild steht „Normalität“ geschrieben. Meine Eltern im Pflegeheim tragen sichtbar „Verzweiflung“ im Herzen und in der Seele.
Auf dem Fußballplatz schreien Millionäre ihre Privilegen lauthals in die Ränge.
Im Büro ringen wir diskret um Fassung.
Das ist keine Welle, das ist ein Tsunami. Ein Tsunami der Gefühle der Disziplinierten und Regeleinhalter*innen. Wir fahren ohne Netz und doppelten Boden in den Infizierungs-Loop. Schnappen nach den letzten Präsenzkontakten. Alles wird gut.
Sieben Grad zeigte heute morgen das Display über der Apotheke an. Ich hätte es kälter geschätzt. Aber vielleicht kam die Kälte auch von innen. Ich kaue immer noch an dem harten Brocken, der mich seit Tagen beschäftigt. Vielleicht bin ich Weltmeisterin im Gedankenkreisen?
Das Wochenende empfange ich mit offenen Armen. Hab es mal wieder knapp über die Ziellinie geschafft. Die Arbeit zehrt und zerrt.
Zum Ausgleich gibt es auf dem Balkon emsiges Treiben. Die Meisen tanzen. Gestern kam ein Eichelhäher-Päarchen auf Stippvisite und heute balanzierten zwei unbekannte Vögel kopfüber an der Futterstange. Etwas größer als die Meisen, mit leicht rötlichen Bauchgefieder.