Morgen 15 Grad, kündigt die Wetter-App an und ich weiß nicht, ob das eine Drohung ist. Den Dienstkalender habe ich schon abgeheftet, die Termine für morgen bleiben mir auch so im Kopf. Es fühlt sich nicht richtig an, dass das Jahr zuende geht. Eher so, als hätte es gar nicht stattgefunden. Dabei habe ich mehr denn je gearbeitet. Keine richtige Pause, es ist immer Krisenmodus.
Es gibt in dieser Wohnung keinen Kaminofen und kein offenes Feuer, sonst wäre es eine Option in die Flammen zu schauen und zu meditieren. Träumen von besseren Zeiten und Welten. Von Solidarität, Verantwortung und Menschlichkeit.
Ich habe mir vorgenommen, die Pandemie vor der Haustür stehen zu lassen. Sie für ein paar Tage aus dem Kopf zu kriegen. Aber gleichzeitig will ich eine Entscheidung treffen bei der die Pandemie eben nicht außen vor bleiben kann.
Nicht weniger als die Quadratur des Kreises, das kennen wir mittlerweile alle.
Meine Zuversicht steigt und fällt im Stundentakt. Selbst professionelle Sich-Sorgenmacher*innen kommen in diesen Tagen an ihre Grenzen.
Raus, raus aus dem Kopf! Hatte ich mir das nicht vorgenommen?
„Um 14 Uhr schneit es in Frankfurt“, raunt mir die Wetter-App zu. Normalerweise ist sie zuverlässig, aber heute scheint sie zu großen Sprüchen aufgelegt.
Ich atme, ich spiele, ich esse Schokoladeneis.
Es wäre längst an der Zeit, einen Jahresrückblick zu schreiben, einen Pandemierückblick vielleicht.
Ich setze mich lieber in die Ecke und stricke die Socken weiter. 20 % Seide und einen hohen Wollanteil. Der reinste Luxus zwischen meinen Fingern. So fühlt sich Zuversicht an.
Lerne die Gedichte von Louise Glück kennen und möchte mich andächtig auf den Boden werfen und lauschen.
Still, Liebes. Es bedeutet mir nichts, wie viele Sommer ich lebend zurückkehre: in diesem Sommer haben wir die Ewigkeit betreten. Ich fühlte, wie deine beiden Hände mich begruben, um ihre Herrlichkeit zu entbinden.
Ich klicke mich nachts durch die Möglichkeiten Lebensmittel nach Kuba zu liefern. 1005 Tage ist es her, dass ich Kuba verließ. Das sagt mir Duolingo, weil ich seither keinen Tag mit der App verpasste. Sonst wurde der Zähler während ich in Kuba war regelmäßig zurückgestellt. Denn sicheres tägliches Internet gab es dort nicht.
Ach, ach. Schönes, heißes, lebendiges, armes, lautes Kuba! Ich denke viel an dich.
Und was kommt sonst noch auf uns zu? Aus der Welle wird eine Wand, wenn Omikron uns besucht, las ich heute. Was bedeutet diese Wand? Was heißt das, wenn so viele Menschen gleichzeitig krank werden? Zack, dann sind wir wohl vorübergehend ausgeknockt. Handlungsunfähig.
438 Todesfälle. Von gestern auf heute.
In einer Woche ist Weihnachten. Also Ruhe. Kein Fest, kein Aufgeregtheiten. Nur Ruhe.
Und kaltes Wasser. Weil es das Ersatzteil bis dahin wahrscheinlich nicht schafft. Das ist bitter, für eine Person mit ausgeprägter Neigung zum Warmduschen.
Die Spaltung der Gesellschaft von der Medien und Politik seit Beginn der Pandemie reden, wird uns bald um die Ohren fliegen. Aber nicht, weil es so etwas wie eine Spaltung der Gesellschaft in einer Demokratie gibt.
Sie fliegt uns um die Ohren, wenn nicht bald mit allen gesellschaftlichen Ressourcen gegen diese Attacken gegen Menschen, Gesellschaft und Demokratie vorgegangen wird. Wir können uns keine Politiker*innen erlauben, die vor faschistischen Aufmärschen kuschen. Wir können uns keine Medien leisten, die Gewalt aus allen Richtungen puschen. Wir können uns keine Kommissionen leisten, die von überforderten Frühstückspräsidenten geleitet werden.
Und ein kassenärztliches System, das Züge einer kriminellen Organisation trägt ist äußerst schlecht für die Gesundheit der Bevölkerung.
Wir stehen vor einem Wendepunkt. So dicht davor.
Und es sieht gar nicht gut aus.
Es geht nicht um Spaltung, es geht um die Existenz der Demokratie.