Journal02082022

Ich verliere den Mut und die Zuversicht, trauere und ehe ich mich versehe, fange ich mir die Hoffnung wieder ein.

Journal01082022

Countdown. Rückwärts zählen. Final Countdown wäre jetzt ein bisschen zu zynisch. Ich will ja die Hoffnung nicht verlieren und Zeit für die Dramaqueen bleibt immer noch.

Also: Konzentration, bitte.

Fokussieren sagen sie neuerdings dazu. Herausfinden, was wichtig ist für mich in dieser Situation.

Bisher ging es meistens um Gespräche. Weitergeben, was ich weiß und was ansteht. Nicht viel Informationen und doch ein Wumms. Erstmal.

Journal27072022

Das Blut will nicht fließen.

Aber es muss.

Fünf Venen weiter und schon war der blutige Willen gebrochen.

Ich entschuldige mich für meine Venen. Sie passen absolut nicht zu meiner Persönlichkeit. Ihnen ist es egal, dass mein Ziel ist, eine demütige und fügsame Patientin zu sein. Wenn ich schon rein muss in die Maschinerie, dann bitte so unsichtbar wie nur möglich. Ein Hauch von einer Patientin.

Aber da habe ich die Rechnung ohne meine Venen gemacht. Sie spielen Verstecken und Maskerade. Manchmal zeigen sie sich und lachen dann drei Tropfen Blut, ehe sie kichern wieder versiegen.

Journal26072022

In der Arbeit für Transparenz gesorgt. Soweit dieser Zustand – Sachstand – es möglich macht. Ich mag die Wispergespräche nicht und auch nicht das Geraune.

Hier stehe ich. Zusammen mit meiner Angst. Gehe den Weg, den schon so viele gegangen sind.

Noch ist nicht Schlimmes passiert. Noch stehe ich auf der anderen Seite der Linie.

Journal24072022

„Ihr Konto ist jetzt leer. Sie haben alle Bücher zurückgeben.“

Keine Bücher mehr aus der Stadtbücherei. Vorgestern hatte ich das eine noch verlängert, aber dann wollte ich mich nicht mehr um die Fristen kümmern. Zu viele andere Termine, die sich jetzt in meinen Alltag schalten.

Was ich in dieser Situation auf keinen Fall brauche, ist Ablenkung und den Anschein von Normalität. So ticke ich nicht. Ich sorge und sammle mich. Ich drehe mich im Kreis und bin mir genauer denn je über den Mittelpunkt bewusst.

Ich tröste mich, noch kann ich es.

Nachtrag: Lese gerade in den Erinnerungen der Sammelmappe, dass ich „meine Tasche ist mein Zuhause“ schrieb. Damals als ich privat und dienstlich zwischen so vielen Welten reiste. Kein Wunder, dass die gepackte Tasche so wichtig für mich ist.

Journal22072022

Ich google „was nehme ich mit ins Krankenhaus“. Ich recherchiere Patientenzimmer. Ich wünschte, es würde mehr Anleitungen geben. Dinge an die ich mich halten kann. Die Kopie des wichtigsten Informationsblatts ist mir schon abhanden gekommen. Das, in der die Stellen für die Gewebeprobe angekreuzt waren. Irgendwie ziehen sie eine richtige Zaubershow ab mit den Papieren, die sie dir in die Hand drücken und von Station zu Station tauschen sie es wieder aus. Mit verschiedenen Unterschriften versehen. Stempel manchmal auch.

Ich ärgere mich, dass ich keinen besseren Überblick habe und weiß doch, dass das gar nicht möglich ist.

Sieht so aus, als würde ich viel lernen in den nächsten Wochen.

Tagebuchprojekt

Hier geht es zum Tagebuchprojekt der Graugans:

Zehn Jahre gemeinsames Tagebuch. Wunderschön virtuell aufbereitet.

Journal18072022

Leiser werden im Leid.

Älter werden und der Boden unter den Füssen schwankt. Oder vibriert. Die Angst, die in der Kehle steckt.

Ich lass das mit den Wortspielen lieber, das wird zu düster.

Draußen nimmt die Sonne Anlauf für einen heißen Tag. Die Hitzewelle rollt.

Bildbeschreibung: Balkonblick der hinter den Bäumen aufgehenden Sonne

Journal06072022

Das Bedürfnis über Tage und Wochen zu schweigen. Schweigend diese Zeit begleiten. Die Pandemie, der Krieg, die Inflation, die schwindende Welt des Wohlstands.

Das Bedürfnis, den Kopf aus Fassungslosigkeit zu schütteln, schon lange verloren. Zu viel Energieverlust. Zu abgestumpft.

Das Bedürfnis, die Welt aus den Angeln zu heben und sie neu zu justieren. Jetzt noch einmal neu beginnen. Ein sinnloser Traum.

Zum Dokumentieren gibt es genau einen Punkt: Berichte, die von den Missständen in der Pflege oder der Medizin handeln, sind nur die Tropfen, die überlaufen. In Wirklichkeit rollt längst eine Flutwelle über die Gesellschaft. In der Realität und im Einzelfall ist alles tausenmal schlimmer.

Schlimmer, härter, würdelos schon lange.

Das System ist nicht überlastet. Es brennt.

Journal25062022

Doch. Ich fand die Konzentration zu den Lesungen in Klagenfurt vor dem Fernseher. Allerdings nicht die Konzentration, um sie hier in der Sammelmappe zu dokumentieren. Es gab einige wenige Texte, die ich sofort in mein Herz schloss, einige die Achselzucken bei mir hervorrufen und auch welche, die ich unfassbar flach fand.

Bei der Jurydiskussion schalte ich innerlich oft ab. Früher konnte ich mich da voll emotional reinhängen, heute sehe ich eher die durchsichtigen Verstrickungen und wende mich ab. Nicht mein Milieu, nicht meine Angelegenheit. Sie sind auf so viele unterschiedliche Weisen blind, aber trotzdem feurig ehrgeizig. Ich freue mich wenn professionelle Aussagen aufblitzen, nur selten erhellt die Jury mir den Hintergrund. Es ist trotzdem toll, dass es dieses Format gibt und irgendwann fahre ich auch wieder hin und sehe mir das aus der Nähe an.

(und über all diesen Tagen und Wochen schwebt die Sorge, die Trauer, die Fassungslosigkeit, das Leben wiegt schwer)