Mit Bedacht. Dabei bin ich so bedächtig, dass sich dafür kaum noch eine Steigerung finden lässt. Alles wird von mir bedacht. Grundsätzlich und immer. Von allen Seiten und aus jeder Perspektive. Wollte ich mit wirklich selbst Ratschläge geben, dann müssten sie eher in eine andere Richtung gehen. Aber ich glaube ja an den eingängigen Satz, dass Ratschläge Schläge sind. Von daher sind sie in den seltensten Fällen angebracht.
Jedenfalls taste ich mich durch den Tag. Vorsichtig auf mich achtend. So gut ich das eben kann.
Das Warten und Bangen ist beendet. Aus der übergroßen Last ist eine mittlere geworden. Eine, die ich tragen kann.
Ich bin gleichzeitig erleichtert und gewarnt. Möchte tausend Pläne schmieden. Nun ja, vielleicht nicht tausend, aber die in der Zeit des Luftanhaltens aufgeschobenen Pläne, die möchte ich gern schmieden.
Jetzt lebe ich eine weitere Woche zwischen den Welten. Zwischen den Weichen.
Am Tag nach der Operation ging es mir am Besten. Wahrscheinlich waren die Narkosmedikamente wirklich so beflügelnd wie von der Narkosepflegerin angepriesen. Danach ließen meine Kräfte nach. Ich war heilfroh, dass ich die ganze Bürokratie sofort hinter mich gebracht hatte, denn ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. Ein seltsames Gefühl. Alle mentale Energie ausgelaufen. Wer bin ich ohne mentale Kraft?
Ich beobachte meine Wunden. Nicht mit Misstrauen, aber mit Distanz.
Nur nicht zu nahe kommen, nicht aus Versehen in der Weiche verheddern.
Nachts schlafe ich schlecht. Stundenlang liege ich wach, bis ich in eine schwarze Schlafgrube falle. Ich träume nicht.
Erster Teil des Wochenplans hinter mich gebracht. Die Voruntersuchungen, samt Bürokratie und Gedöns erledigt. Am Besten komme ich in diesen Situationen klar, indem ich auf Autopilot umstelle. Rumstehen, rumsitzen, warten und die Zeit vergehen lassen. Warten, warten, warten. Warten im Freien, Warten im Foyer mit Nummer, Warten im Wartezimmer, Warten auf dem Flur, Warten vor dem Aufzug, Warten vor dem Lagerraum. Manche sitzen zwischendurch auf dem Boden, so weit gehe ich nicht.
Zur Begrüßung reicht mir jemand heute morgen freudestrahlend den Umschlag mit den Unterlagen, die ich zwei Wochen lang vergeblich einsehen wollte. Ich grüße dankend zurück. Alle Wege führen irgendwo hin. Manchmal auch zu mir.
Wünscht mir Glück. Ich glaube ganz fest an die Macht der positiven Gedanken.
Dienstag: Isolation und am Nachmittag Bekanntgabe der Uhrzeit des OP-Termin
Mittwoch: OP-Termin mit Gewebeentnahme
Diagnose dauert dann mindestens eine Woche. Wie lange die Wunde zum Heilen braucht scheint nebensächlich zu sein, denn dazu gibt es keine Informationen.
Fühle mich gleichzeitig transparent, wehleidig, verloren, nervös, aufgeregt, empfindlich und ein kleines bisschen pragmatisch.
Ich traue mich nicht mehr, hier in der Sammelmappe einen Mucks abzugeben.
Dabei wäre es so wichtig und notwendig für mich, mich an meine Angst heran tasten zu dürfen, ohne gleich wieder andere beschwichtigen zu müssen.
(Ich zähle die Tage, die Stunden. Bin nach einer vierzehntägigen Bürokratie-Parodie-Episode sogar mit einer Kopie meines Aufklärungsprotokolls versehen. Wünsche mir dringend eine Glaskugel, für die Nachsorgeoptionen. )