Sachstand Leben

Keine Besserung in Sicht. Nicht im Großen. Nicht im Kleinen.

Weinen. Ich weine Tränen, um die Menschen und um die Welt.

Eine muss diese Tränen weinen. Zwischen Wut, Zorn, Verzweiflung, Angst und Ignoranz muss eine die Tränen um und für die Welt weinen. Intensiv und unvergesslich. Beharrlich.

Gegen die Barbarei.

Allergiegeschwächt

Körperlicher Zustand: das Japsen und Stöhnen mit der doppelten Dosis Allergiemedikament angegangen. Voraussichtlich wird mich das in einen verdösten Pufferzustand versetzen, aber die wunderbaren Pollen, lassen mir keinen Spielraum.

Bin zurück von meiner Familienreise am Alptraum-Reisetag Gründonnerstag. Übervolle Züge mit Bundespolizei-Ausstiegsservice. Nennen wir das mal so. Früher wurde die Bundespolizei ja erst geholt, wenn sich die Türen nicht mehr schließen ließen. In meiner Erinnerung waren diese Situationen nicht halb so schlimm, wie ich es heute von meinem privilegiert reservierten Platz aus erlebe.

Das Alter verändert bei mir die Sicht auf viele Situationen.

Wie auch immer, ich bin wieder zuhause. Erschöpft und erledigt. Froh über die Feiertage. Ich werde sie ehren und genießen.

Bildbeschreibung: Claudia trägt rote Hosen und häkelt in der Zweiersitzreihe des ICE, in der Ecke der bunte Rucksack, ein Schal auf dem Schoß

Im ersten, frühen Zug war die Reisewelt noch halbwegs in Ordnung.

Journal13042022

Die Augen kratzen, die Nieserei schüttelt mich durch, ich japse und ächze, aber ich kann heute und morgen auf keinen Fall Allergiemedikamente nehmen. Dann wäre ich ausgeknockt. Besser nicht.

Abenteuer in vollen Zügen ist angesagt. Ich hoffe auf eine Portion Gelassenheit.

Ansonsten gibt es nicht viel zu schreiben. Ich meide die Nachrichten, ich meide die Aufregung, ich meide die Konfrontation. Meine Arbeit rupfe und zupfe ich mir zurecht, Teile voller Konzentration, aber auch zeitweise sehr zerstreut. Manchmal sehe ich die blühenden Bäume und denke: Oh, es ist Frühling! Wie schön. Ich sehe auf den Kalender und möchte die Zeit etwas bremsen. Dann frage ich mich wieder, in welchem Jahr wir eigentlich leben.

Jedenfalls gibt es Krieg. Der lässt sich nicht ignorieren. Er durchdringt die Zukunft und die Vergangenheit. Wir stecken fest im Schlamm schlechter Entscheidungen.

Journal09042022

Alles hat seinen Preis, sagen sie. (Es sagen immer die, die den Preis nicht bezahlen.)

Alles hat seinen Preis, sagen sie, aber ehrlich ist ihre Währung nicht.

Sie sagen nicht, dass wir jetzt jede Kilowattstunde in vergossenes Blut umrechnen müssen. In zersplitterte Knochen, Leichensäcke und traumatisierte Seelen.

In zerfetzte Glieder, Alpträume und Massengräber.

Lyrische Anleitung

wende das Blatt so lange

bis aus allen Träumen

Worte darauf rieseln

Journal04042022

Dass meine private ToDo-Liste in den letzten Wochen so angewachsen ist, dass sie die dienstliche locker abhängt, beschreibt den Zustand meines Lebens recht gut.

Und das fällt alles so locker unter „Freizeit“. Nach diesem Maßstab scheinen Bürokratie sowie Sekretariats- und Recherchearbeiten meine bevorzugten Lieblingsfreizeitbeschäftigungen zu sein.

Journal02042022

Wie sanft, leicht und märchenhaft die Welt erscheint, wenn draußen unerwarteter Schnee alles bedeckt.

Natürlich nur von der warmen Innensicht aus betrachtet. Gehst du raus, rutscht du durch die schwere Nässe. Da ist kein Halt, keine Beständigkeit. Nichts zum Greifen.

Ob die Blüten es überstehen?

Bildbeschreibung: Rosa Blüten unter Schnee
Bildbeschreibung: Schnee am Bornheimer Ratskeller mit blühenden Forsythien
Bildbeschreibung: Verschneiter Weg mit Baumreihen am Bornheimer Hang

April, April

Bildbeschreibung:
Blaue Dekokugel vor grünem Hintergrund im Regen

Der April verschafft sich mit einem Winter-Paukenschlag Zutritt ins Kalenderjahr.

Ich bin immer noch matt und niedergestreckt von der Allergie und den Umständen.

Außerdem dröhnt der Krieg durch mein Gemüt. Heute Nacht las ich das lange Interview mit dem BASF-Menschen. Klar, der warnt vor dem Gas-Embargo, weil es diese Firma ziemlich trifft. Aus diesem Interview erfahre ich, dass sie die Gasspeicher an Gasprom verkauft haben. Der Bund hätte kein Interesse an dieser Infrastruktur gehabt. Meine Güte! Was haben die uns verraten und verkauft. Auf jeder nur möglichen Ebene.

Ein Elend.

Bildbeschreibung: Blaue Dekokugel mit Schneemützchen vor verschneitem grünen Hintergrund

Journal31032022

Aktuelle Lektüre: Pflegeberichte, Blutwertetabellen und Email-Kommunikationsschleifen. Dazu das geografische Studium der medizinischen Infrastruktur auf dem Lande.

Die Angst hinter Daten, Tabellen und Listen verstecken.

Die Furcht stündlich neu verankern.

Die wiedergefundene Zeit

Ich hatte ja keine Ahnung. Absolut keine Ahnung, was da auf mich zukommt.

Seit dem Jahreswechsel 2021 höre ich jeden Abend „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Proust. Jeden verdammten Abend (seit 15 Monaten) zum Einschlafen. Ich schlafe ein dabei. Oder auch nicht. Ich höre fünf Minuten und verschlafe den Rest. Oder ich höre die ganze Podcast-Folge und weiß trotzdem nicht, was eigentlich Sache ist. Ich höre Proust, ganz genauso, wie ich ihn mir hätte vorstellen können, wenn ich mir eine Vorstellung hätte machen sollen. Ein ewig gleichmäßiger Strom des Erzählens. Eine Stimme, die immer weiter spricht. Die nie an ihre Grenzen kommt.

Aber nun bin ich bei Folge 10 der wiedergefunden Zeit. (Von der ich nichts wusste, nichts ahnte.) Und jetzt tobt der erste Weltkrieg in den gleichförmigen Erzählstrang und ich kann ich mehr schlafen, finde nicht mehr in die Nacht. Weil dieser Krieg sich verschmilzt mit dem anderen Krieg, den der am Tag wütet und nichts daran ist verloren. Alle Gewalt ist wiedergefunden. Nimmt das denn niemals ein Ende? Und wer hat jetzt bitte welche Zeit wiedergefunden oder verloren?

Lasst es mich wissen.