Ausgehaucht

heute
und nicht nur heute
atmet es sich schwer
leichter wäre es
wenn die Luft dünner wäre
hauchzart
hauchfein

ein Hauch von Leben
ausgehaucht

Journal13102022

Neu dazugelernt: Es gibt einen Dringlichkeitscode, der auf dem Überweisungsschein ausgestellt sein muss. Damit kann man einen dringenden Facharzttermin über das System 116117 ausmachen. Also noch mal zum Arzt und den Code besorgen.

Mir fällt es schwer, mich zu konzentrieren. Die Gedanken jagen in die Zukunft, durch die Vergangenheit, schlagen Purzelbaum und schießen wie eine Rakete in den fernen Horizont. Sie führen ein Eigenleben ähnlich wie es diese Krankheit mit mir macht. Ich bin weit davon entfernt, ihr ein stabiles Grundgerüst entgegenzusetzen.

Weiter dazugelernt: Wie sehr es nervt, wenn Fragen zur Krankheit gestellt werden, die ich noch nicht beantworten kann. Noch mehr nervt es, wenn gutgemeinte Ratschläge mir Handlungsaufforderungen mitgeben. Es fällt auf, dass Gesprächspartner*innen keinen Stillstand beim Sachstand dulden. Da wird wild spekuliert, was jetzt zu tun ist und falls das nicht, dann das. Kein Fortschritt? Das kann nicht sein.

Vielleicht sprechen deshalb viele Menschen gar nicht über ihre Krankheiten oder Diagnosen. Das Gegenüber, das gerade sachlich einen Informationsstand erhalten hat, fühlt sich dazu berufen „Diagnose und Behandlungsstrategien“ zu verkünden und (ganz wichtig) einzufordern.

Einerseits ist das witzig, weil es abstrus ist, andererseits trifft es auf eine verunsicherte Seele, die sich gerade sehr schützen muss, um zu heilen.

Sich in andere Menschen hineinzuversetzen ist keine Kernkompetenz in unserer Gesellschaft. Das erklärt auch viele andere Probleme, die wir im Moment haben.

Journal09102022

Note to myself: Beim Verlassen der Alltagsstruktur Vorsorge für die medizinischen Auszeiten treffen. Zeitliche Struktur planen, vorbereiten und öffentlich kundtun. Sonst wird das nichts mit der verantwortungsbewussten Selbstbehandlung.

Es sieht so aus, als müsste ich mir diese Selbstverständlichkeiten eine Weile ins Ohr flüstern, da ich immer noch nicht verinnerlicht habe, dass ich krank bin. Die Krankheit nimmt sich kein Wochenende frei.

Aber das werde ich lernen. Ganz bestimmt, muss nur noch ein bisschen Geduld mit mir haben.

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Weitere Vorkommnisse: Hab lange ins Feuer geschaut. Hab dort Vergangenes und Zukünftiges gesehen.

Bildbeschreibung: Züngelnde Flammen in kräftigem Rot und Gelb.

Journal05102022

Abwechselnd verbringe ich meine „Freizeit“ im Labyrinth der medizinischen Versorgung chronisch kranker Menschen oder im Bürokratie-Dschungel Pflege. Beides eng miteinander verzahnt und mit Aspekten ausgestattet, die jede Satire in den Schatten stellt.

Nun ja, wenn ich eins kann, dann Beharrlichkeit. Eine meine größten Tugenden.

Heute als Lichtblick, dann zum ersten Mal ein kompetentes und aufgeschlossenes Gespräch mit einer Apothekerin über die Möglichkeiten einer Behandlung meiner Krankheit. Da der Termin mit der Hautärztin noch in weiter Ferne liegt, mein Leidensdruck immer größer wird und die anderen Ärzte eher ratlos sind, war ich überrascht, dass ausgerechnet in der Apotheke so ein Gespräch möglich war. Praktisch hilft mir das zwar im Moment nicht weiter, aber es sind Informationen, die ich ganz wichtig für mich sind.

Bisher hielt ich Apotheken eher für Geschäfte in denen eine überteuerte Gesichtschreme kauft und die leider ein Monopol auf Medikamentenverkauf besitzen, das mit mit Allerweltsratschlägen aufpeppen und dann für ein Qualitätsmerkmal halten.

Journal01102022

Regen. Den ganzen Sonntag über Regen. Lange haben wir darauf gewartet. Die Bäume und das Gras werden erstmal grün, bevor sie sich wirklich in den Herbstmodus begeben. Vor ein paar Wochen sah es wegen der endlosen Trockenheit so aus, als wollte sich die Natur direkt in den Abschied stürzen. Aber nun lässt sie sich Zeit.

Hier gab es rote Linsen mit Süßkartoffeln zum Mittagessen. Hab wirklich lange gebraucht, bis ich auf den Gedanken kam, dass das eine gute Kombination sein könnte. Sie ergänzen sich prächtig.

In den Zwischenzeit hege und pflege ich all die vermaledeiten Stellen an meinem Körper, die mir zeigen, dass es langsam genug ist. Zeitenwende im Kleinen. In meiner kleinen privaten Welt.

(Was die große Welt anbelangt, lese ich kopfschüttelnd, dass Katar jetzt der größte Aktionär bei RWE wird. Sie machen also genau da weiter, wo sie aufgehört haben. Du meine Güte.)

Bildbeschreibung: Trüber Regentag, Blick durch die Allee

Den 27. September aufschreiben

Dort gibt es ein Blog-Projekt, das den 27. September aufschreibt. Es gibt dazu mehrere Vorgängerprojekte. Christa Wolf hat ihren Alltag am 27. September auch aufgeschrieben, ich las das sehr gerne. In diesen Momenten bedauere ich immer ein bisschen, dass ich in der Sammelmappe so wenig von meinem Alltag berichten kann. Das war zu Beginn des Bloggens eine Richtungsentscheidung, entweder anonym oder etwas geschützt unter eigenem Namen. Ich entschied mich für die zweite Variante und führe ein Papiertagebuch für die Dinge, die mir nahe gehen und mich intensiv beschäftigen. Alltag steht auch drin, aber sehr oberflächlich. Bzw. Durch Zahlen dokumentiert.

Liebes Tagebuch, diesen 27. September verbringe ich in Marseille und M sagt, das wird unsere letzte gemeinsame Reise nach Marseille sein. Wahrscheinlich ist das so. Wir werden unsere gemeinsamen Kreise kleiner ziehen. Die Realität gibt da ganz klar ihre Grenzen vor. Ich spiele June’s Journey und bin bei der Szene 1000 angelangt. Meine größte Sorgen sind der Krieg und die Faschisten. Das Klima auch, aber das geht in der allgemeinen Dummheit der Menschheit unter.

Könnt ihr euch noch an den Begriff Schwarm-Intelligenz erinnern? Die letzten drei Jahre haben leider gezeigt, dass es irgendein Mechanismus geben muss, der Scharm-Dummheit sein könnte. Destruktiv und selbstzerstörerisch. Ansteckend und direkt aus der Hölle gesteuert.

Journal24092022

Die Prinzessin auf der Erbse verreist.

Während die Welt krachend aus den Fugen gerät, werde ich Tag um Tag verletzlicher.

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Beim Lesen eines Twitter-Thread gedacht, dass eine ein Coaching durch das Gesundheitssystem brauchen könnte, sobald sie chronisch krank ist oder an einer speziellen Krankheit leidet. Das System hat mehr zu bieten, als an der Oberfläche zu erkennen ist. Dann sofort gedacht: gilt auch für die Rentenversicherung. Auch da wäre ein Coaching quer durch das System nicht schlecht.

Unsereins hat für diese Sachen ja wenigstens noch die Timeline. Aber es ging sicher auch individueller und effektiver.

Du meine Güte, wenn ich daran denke, was bei uns immer so unter „Freizeit“ läuft. Mir scheint, da ist ein gewaltiger Fehler in der Logik.

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Abend lasse ich mir die Kriegstagebücher von Astrid Lindgren ins Ohr flüstern. „Die Menschheit hat den Verstand verloren“. Zum wiederholten Mal lese und höre ich das Buch. Erschreckend, wie es über die Jahre immer realistischer in meine Welt passt. Geschichte wiederholt sich. Immer und immer wieder.

Erholung im Gegenlicht

Bildbeschreibung: Claudia blickt skeptisch vor blauem Himmel. Mit Sonnenschutz und wirren Haaren.

Ich übe mich in Erholung und hoffe sehr, dass ich die passenden Register ziehe.

Abseits der Maschinerie

Über den Kommentar von Violine zum letzten Eintrag habe ich nachgedacht und dabei ist mir aufgegangen, dass diese Situation zum ersten Mal auch Humor zuließ. Seit ich gemerkt hatte “ hoppla, da ist etwas in meinem Mund, um das ich mich kümmern muss“, befand ich mich in der typischen medizinischen „Maschinerie“. Da ist nur angesagt, möglich unauffällig als kleines Rädchen in den Betrieb zu passen. Alles ist durchgetaktet und die andere kennen schon die nächsten Schritte. Als Patientin war ich immer hinten dran mit dem verstehen, was jetzt warum passiert. Das ging bis zur Diagnose so, da gab es ein „peng“ – das war es dann.
Gefühlt bin ich da richtig ins Leere gestürzt.

Aber jetzt bin ich irgendwie abseits der Maschinerie gelandet, das heißt wohl auch, dass es wieder mehr Freiräume gibt. Für Entscheidungen, Emotionen und ein bisschen auch für Humor.

Journal17092022

Gestern habe ich viel über meine Krankheit gelernt. So viel, dass es sich nicht einfach zusammenfassen lässt. Es ist kompliziert. Das trifft es.

Etwas überwältigt war ich, als ich bei der „Spezialsprechstunde Mundschleimhaut“ im Ausbildungsbetrieb der Uniklinik gelandet bin. Zuerst saß ich da in einem riesigen Wartesaal mit meiner Zahnphobie alleine zwischen lauter übergroßen Zahnpostern und Implantatbildern mit. Es war schrecklich. Ich kann nämlich keine Zähne sehen. Außer beim Lächeln. Aber sonst nicht. Ich kann kein Gebiss anschauen, keine künstlichen Zähne, keine die sich außerhalb des Körpers befinden, es sei denn sie sind versteinert. Mir wird da ganz unangenehm und übel. Auch von graphischen Darstellungen von Zähnen. In dieser Hinsicht bin ich schon eine Mimose. Noch schlimmer wird es dann bei der Zahnbehandlung, da bin ich eine Angstpatientin.

Meine „Sprechstunde“ begann überraschend in einem Saal mit gefühlt einem Dutzend Zahnbehandlungsstühlen. Mir ist das Herz so was von durchgegangen.

Trotzdem hat es sich für mich sehr gelohnt, dass ich hingegangen bin, denn ich habe sehr, sehr viel erläutert bekommen. Zum Beispiel auch, warum es so wichtig ist, dass eine Hautärztin eingeschaltet wird. Die Entzündungen können nicht nur im Mund, sondern an jeder anderen Stelle am Körper auftreten. Und da wo sie auftreten, zerstören sie die Hautzellen unwiederbringlich. Bei der Haaren z.B. töten sie die Haarwurzel ab. All meine entzündeten Stellen im Mundbereich sind also „unheilbar“ erkrankt. Das hatte ich zwar auch irgendwo gelesen, aber noch nicht verinnerlicht. Für mich war die Vorstellung so vage: die Entzündung klingt ab und dann ist zwar nicht alles gut, aber mindestens alles viel besser.

So ist das leider nicht. Die Ärztin meinte, in der Regel würden die Symptome nach ca. Zwei Jahren von den Patient*innen nicht mehr als so störend wahrgenommen. Halleluja. Das heißt wahrscheinlich nach zwei Jahren sehen die Betroffenen im Inneren ein, dass es keine Heilung gibt und dass das Ignorieren aller Symptome, der einzige Weg zu mehr Lebensqualität ist.

Die Krankheit ist übrigens gar nicht so selten, meistens sind die Symptome aber auch nicht so unangenehm. Die Variationsmöglichkeiten sind da sehr, sehr breit.

Jedenfalls bin ich froh, dass sie mich zur Vorsorge in ihr Programm aufnehmen. Die Krankheit hätte „Entartungspotential“.

Zusammenfassend würde ich sagen, es gab viel Licht und viel Schatten. Aber nachdem mich der HNO gefühlt so „abserviert“ hatte, bin ich froh nun wieder eine medizinische Anlaufstelle gefunden zu haben.

Nachtrag für mich, der Vollständigkeit halber: Auch das Thema Allergie wurde erörtert. Bisher hieß es immer eine Allergie sei ausgeschlossen. Jetzt wurde erläutert, dass eine allergische Reaktion auch einen Schub auslösen könne. Allergie bedeutet Stress und Stress sei der übelste alle Treiber der Krankheit. An zweiter Stelle stehen die Wechseljahre. Warum das so ist, weiß niemand, das wird interpretiert über die Statistik zu den betroffenen Personen.