Die Anstrengung einer schlaflosen Nacht in den Tag hineintragen – was für eine seltsame Last. Was ist es, das mich nicht schlafen lässt? Der Geist der vergangenen Jahre tobt noch in mir, laut und ungebändigt. So schnell lässt er sich nicht mit Stille vertreiben. Und doch suche ich sie, diese Stille.
Doch kaum spüre ich einen Hauch davon, meldet sich ein kritischer Gedanke: Ist das nicht zu viel? Stille, die in unserer Gesellschaft oberflächlich als positiv gilt, wird schnell zur Bedrohung, wenn sie anhält. Das fühle ich tief in mir. So wurde ich sozialisiert. Neuronal verdrahtet.
Eine kleine Dosis Stille – das ist festlich, feierlich, fast heilig. Sie wirkt sinnlich und gesegnet. Aber wage es, mehr davon zu nehmen, und plötzlich wird die Stille einsam, isolierend. Sie macht dich unkommunikativ, lässt dich zurückgezogen erscheinen, bis du in der Vereinsamung zu versinken drohst.
Selbst die Stille polarisiert. Und das ist mir noch nie zuvor so klar gewesen.
Aber hilft nichts. Ich brauche sie jetzt in großen Dosen und Rationen. Solange bis ich wieder Kraft und Energie habe, um mich ins laute Leben zu stürzen. Schlaflose Raunächte sind übrigens nicht still. Sie explodieren geradezu mit ihrer Geräuchkulisse.
Heute Morgen bin ich zum Ostpark geeilt. Aus einem mir nicht ersichtlichen Grund hatte ich es eilig an diesem Feiertag Morgen. Der Himmel war noch leicht rosa vom Morgenrot. Trotzdem kein Grund, sich darüber Sorgen zu machen, dass ich dort etwas verpassen könnte.
Der Ostpark lag ganz beschaulich da. Eher herbstlich als wirklich winterlich gestimmt kam er rüber. Die Jogger*innen laufen dort ihre Runden. Für mich blieb genug Platz, viel zu sehen und zu hören. Später kam dann die Sonne mit einem strahlendem blauen Himmel durch. Ganz in Feiertagsstimmung.
Jetzt bin ich satt, habe es warm und ruhig, kann tausend Sachen lesen.
Was für ein Leben!
Zitat für heute: „Die Stille der Natur ist das tiefste Wissen.“ – Annette von Droste-Hülshoff
Bildbeschreibung: Eine Weide mit herabhängenden, goldenen Zweigen, die vom warmen Licht der tief stehenden Sonne erleuchtet werden. Im Hintergrund glitzert ein ruhiger See unter klarem Himmel.
Zitat für heute: „Ich gehöre zu den Menschen, die den Zauber der Melancholie zu spüren vermögen.“ – Selma Lagerlöf
Heute ist eine ganz besondere Stimmung am Hang. Ruhig. Nicht ganz so mild wie gestern. Die Kälte etwas schärfer, aber noch nicht durchdringend. Gerade so, dass sich alles nach Präsenz anfühlt. In dieser Luft gibt es keine Vergangenheit und keine Zukunft. Nur den Augenblick.
Und der ist jetzt.
Bildbeschreibung: Ein kahler Winterweg, gesäumt von dunklen, verzweigten Bäumen, unter einem grauen, wolkenverhangenen Himmel. Im Hintergrund spazieren Menschen in der Ferne.
„Jeder Augenblick ist von unendlichem Wert, denn er ist ein Vertreter der ganzen Ewigkeit.“– Marie von Ebner-Eschenbach
Bildbeschreibung: Eine Grünanlage mit Laub bedeckten Wegen, einer grasbewachsenen Fläche und hohen, dunklen Bäumen unter einem zarten Morgenhimmel in Pastellfarben.
Zora del Buono war erst acht Monate alt, als ihr Vater 1963 bei einem tragischen Autounfall ums Leben kam. In ihrem autofiktionalen Buch „Seinetwegen“ setzt sie sich intensiv mit der Vergangenheit ihrer Familie und dem schmerzhaften, gewaltsamen Verlust ihres Vaters auseinander. Spät in ihrem eigenen Leben begibt sie sich auf die Spur des „Unfallverursachers“, recherchiert und reflektiert über die Ereignisse, die ihr Leben geprägt haben.
Das Buch berührt mich tief, da es viele Themen anspricht, die auch mich bewegen. Die demente Mutter, die Gewalt und Zerstörung, die durch das Autofahren nicht nur das Klima, sondern auch die Gesundheit der Menschen beeinträchtigt. Die gesellschaftliche Akzeptanz, mit der viele Formen der Gewalt hingenommen werden.
Anaïs Nin schrieb einmal: „Wir schreiben, um zweimal zu leben: im Moment und in der Erinnerung.“ Durch dieses Buch wird das Leben weiter – nicht nur das der Autorin, sondern auch das der Leser.
Nebenbei experimentiere ich mit TikTok, wenn auch noch etwas ungelenk und ziellos. Gestern nahm ich draußen ein Video auf, das völlig unbrauchbar war – der Wind blies meine Worte einfach weg. Es gibt so viel zu lernen für mich: zu viel Technik, zu viel Insiderwissen. Aber das macht mir nichts aus. Ich habe Freude daran, Dinge zu lernen, von denen ich absolut keine Ahnung habe.
Reinstolpern und Spaß haben, neue Welten kennenlernen – das ist es, was im Moment zählt.
„Manchmal muss man nur still sein und warten, bis die Seele wieder atmet.“ Kathrine Mansfield
Warten, bis die Seele wieder atmet – das scheint mir ein wunderbares Motto, um in eine sinnliche Rentnerinnen-Stimmung einzutauchen. Diese Tage sind wahrlich gesegnet. Umgeben von außergewöhnlich guten Büchern und poetischen Texten, finde ich mich in einer zugänglichen urbanen Umgebung wieder, erfüllt von einer tiefen Dankbarkeit, all dies erleben zu dürfen.
Es ist ein Geschenk, mich frei bewegen zu können, die Stille zu genießen und geduldig zu warten, bis meine Seele wieder atmet. Was für ein Glück ich doch habe! Um mich herum herrscht geschäftiges Treiben, die Weihnachtsvorbereitungen laufen auf Hochtouren. Doch in meinem Leben wird es ab heute langsam und nachdrücklich leise. Elfenruhig. Ich kann lauschen, ich kann warten. Ich kann still sein und darauf vertrauen, dass meine Seele wieder atmet.
Die stillsten und besinnlichsten Tage meines Erwachsenenlebens liegen vor mir wie ein kostbarer Schatz – ein Rentnerinnenschatz. Ich tauche ein, ich tauche unter. Ich bin frei. Die Gedichte liegen neben mir, die Worte schweben über mir. Das Langgedicht „Nachwasser“ von Frieda Paris vibriert noch in mir. Im Vorbeigehen habe ich mir „Tapfer Lieben“ – die Gedichte und Briefe von Marilyn Monroe – aus der Bücherei mitgenommen. Die Wendetagebücher von Sarah Kirsch teile ich mir besser ein als die Schokostückchen. Diese Texte sind so kostbar.
Abends male ich mir ein paar Blumen für die Träume, damit die Nacht einen Ausgangspunkt findet. Schön farbig, denn mir fehlte die Farbe all die Jahre.
Ich wünsche euch allen das Beste! Ich werde in diesen Tagen hier weiterschreiben.
Heute morgen bin ich in aller Frühe losgezogen, um meine Fäden entfernen zu lassen. Auf dem Rückweg dann der Bethmannpark als Belohnung für die überstandenen Ängste.
Bildbeschreibung: Ein ruhiger chinesischer Garten mit einem Pavillon am Rand eines kleinen Teiches, umgeben von Bambus und herbstlicher Vegetation, die sich sanft im Wasser spiegelt.
Zitat: „Das Wasser, das mich spiegelt, macht mich zur Freundin der Dinge.“ – Marguerite Yourcenar
Seit kurzem schlägt mein Virenscanner Avast Alarm, wenn ich die Sammelmappe aufrufen möchte, und blockiert den Zugriff auf die Seite. Das ist wirklich ärgerlich, denn die Domain ist vollkommen in Ordnung. Die Fehlermeldung klingt fast wie ein Triumph des Virenscanners: „Ha, ich habe dich geschützt! Jetzt führe schnell das kostenpflichtige Update durch.“ Ich führe ein Zwiegespräch mit dem Virenscanner und erkläre ihm, dass das meine Website ist, dass ich meinen Webspace getestet habe und mein Provider seine Aufgaben erfüllt. Doch der Virenscanner bleibt monoton bei seiner Aussage.
Normalerweise habe ich ein Herz für komplexe Einstellungen, aber bei der Sammelmappe hätte ich es doch lieber geschmeidig und bequem. Es macht mir schon lange keinen Spaß mehr, an der Seite herumzufummeln. Vielleicht sind die Zeiten des Selbsthostens einfach vorbei. Es gibt zu viel, um das man sich technisch, organisatorisch und rechtlich kümmern muss. Dabei schreibe ich hier ja vor allem für mich – und für die Handvoll Menschen, die seit Jahren ab und an vorbeischauen. Das ist für mich die liebste Form des öffentlichen Schreibens.
Ich mag keine hitzigen Kommentardiskussionen; ich war nie gut im Moderieren. Ich bevorzuge es, wenn es still bleibt, weshalb ich hier polarisierende Themen vermeide – auch wenn sie mich beschäftigen, wie so viele Menschen in diesen turbulenten Zeiten. Die Sammelmappe war für mich immer ein Ort der Ruhe, ein Ausgleich und eine Auszeit vom grellen Realitätsgeblinke. Doch jetzt kommt dieser Virenscanner daher und warnt meine Leser*innen vor nicht vorhandenen Gefahren.
Eine weitere Recherche ergibt, dass die eigentliche Warnung auf einem Eintrag in einer Liste basiert, die besagt, dass meine nie verwendete E-Mail-Adresse als Spam-Adresse gilt. Die Spirale dreht sich also absurd weiter. Ob es jemals gelingt, von so einer Liste wieder herunterzukommen, weiß ich nicht. Darüber mache ich mir jetzt keinen Kopf. Ich schreibe hier noch eine Weile weiter, wie immer. Aber falls die Berge zu hoch werden, die Täler zu tief und die Virenscanner zu grantig, dann muss ich mir etwas anderes überlegen.