Journal16022023
Das Jahr schreitet über mein Leben hinweg. Konsequent und entschlossen. Voller Selbstbewusstsein.
Tag um Tag.
Ich höre den Schritt.
Klack, klack, Klacks.
Alles wird gut, wünscht sich mein Herz.
Das Jahr schreitet über mein Leben hinweg. Konsequent und entschlossen. Voller Selbstbewusstsein.
Tag um Tag.
Ich höre den Schritt.
Klack, klack, Klacks.
Alles wird gut, wünscht sich mein Herz.
mit beiden Händen
nach dem Leben greifen
auch wenn es immer
weiter durch die
Finger rieselt
Ein Anflug von Leichtigkeit bringt dieser Samstagmorgen.
Ganz und gar ungewohntes Gefühl seit Monaten und vollkommen anlasslos.
So viel Vergangenheit, so kostbar-begrenzte Zukunft.
Ich entwickle mich zur perfekten Klischee-Senorin und schwelge in Erinnerungen jeglicher Art. Was für ein Geschenk ist es, diese Erinnerungen zu teilen!
Nicht nur die Geschichten weitererzählen, sondern sie mit den Menschen zu teilen, die gemeinsam mit mir verschiedene Lebenszeiten durchschritten. Wie wertvoll das ist!
Vergangenheit. Gegenwart. Zukunft. Nie war ich mir bewusster, dass sie fließend ineinander überwechseln.
Mein Leben. Gestern. Jetzt. Und irgendwann.
Die Zeit tut was sie kann, sie vergeht.
Ich dreh den rosa Regenschirm
unter den Tropfen
schnurrt das Leben
brummt die Zeit
schleudert alte Träume durch die Nacht
Ich mache es wie angekündigt und taste mich Wort um Wort weiter in diesem Blog. Noch nie ist es mir so schwer gefallen, weiter zu schreiben. Etwas lastet schwer auf mir und flüstert mir tief in die Seele: Lass es sein! Sei still! Gib nichts von dir preis! Mach dich nicht verwundbar! Sei ganz, ganz leise.
Es ist eine verführerische Stimme. Sie klingt sanft und beruhigend.
Aber mein Kopf weiß: Das ist keine Freundin, die zu mir spricht.
Es ist eine toxische Stimme, die es ganz und gar nicht gut meint.
Deshalb schreibe ich kurz und sehe der Sonne beim Aufgehen zu.
Habt einen guten Tag!
Ressourcen gut einteilen ist immer noch mein wichtigstes Tagesziel. Sorgsam und behutsam mit mir umgehen. Nicht gleich in Panik verfallen. Hab eine weitere Stelle entdeckt, die mir Probleme bereiten könnte. Unwahrscheinlich mitten in der Cortison-Phase. Dennoch beängstigend.
Hier in der Sammelmappe dreht sich aktuell alles um mich und meine Gesundheit, weil das das Thema mit der Freigabe für die Öffentlichkeit ist. Die anderen Lasten drücken anonym und unbeschreibbar auf meine Schultern. Da zieht sich etwas zusammen. Dunkle Wolken am Horizont. Sie werden lange nicht wegziehen.
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Es fällt mir so schwer wie noch nie seit ich mit dem Bloggen begann, hier weiterzuschreiben. Obwohl ich eine begnadete Jammererin bin und ernsthaft daran glaube, dass es wichtig und richtig ist, Jammer und Wehklagen zu zelebrieren, damit daraus neue Kraft entsteht, verzarge ich doch ab und zu beim Posten. Zu gerne möchte ich manchmal einen positiven Akzent setzen. Etwas Licht für die Mitlesenden anzünden. Etwas Glitter über das Düstere ausstreuen.
Aber dazu ist dieser Platz im Netz nicht da. Also lasse ich es und taste mich weiter Wort für Wort.
Müde. Unendlich müde und erschöpft. Ich hangle mich kriechend durch meinen Alltag. Symbolisch gesehen natürlich. Sorgsam kratze ich ein paar Ressourcen-Krümel zusammen und krieche weiter.
Am Horizont ein Untersuchungstermin, der weiterhelfen könnte.
Es wird schon werden. Irgendwie.
Und morgen mache ich etwas Schönes.
An den Tod und an das Sterben denken. Die fortschreitende Demenz bereitet Qualen und unerlaubte Gedanken schwirren durch meinen Kopf wie Irrlichter. Wir wissen nicht, was morgen kommt. Wie die nächste Woche wird. Nur die Richtung ist klar. Zerstörerisch. Destruktiv. Die Zeit der kreativen Wortfindungen und überraschenden gemeinsamen Momente emotionaler Verbindungen sind längst vorbei. Übrig bleibt harte, diffizile, professionelle Pflegearbeit. Ich gerate in die zweite Reihe. Führe ein Pflegesekretariat mit gigantischem Umfang, kümmere mich um die seelische Stabilität derjenigen, die in der erste Reihe stehe. Stehe als Kommunikatsschnittstelle zur Verfügung.
Beziehungsarbeit ohne direkte emotionale Rückmeldungen. Als wäre ich eine Beziehungs-KI. Ein körper- und seelenloses Wesen. Ein einfaches, kleines, schwarze Loch in einer der Millionen Pflegehöllen, die es aktuell gibt.
Krankheitszustand: Diffus.
Eigentlich immer noch schwach, gepaart mit einem nörglerischen Unwillen mit dieser Schwäche zu leben. Keine gute Kombination für eine stabile Genesung. Ich denke und denke und suche den Ausweg. Verwerfe dann meine anmassenden Wünsche und versuche es mit einer halben Stunde Demut.
Es sieht nicht so aus als käme von der medizinischen Seite noch Unterstützung. Im Moment beschreiben Frasen wie „es ist kein Sprint sondern ein Marathon“ die Situation und alleine das macht mich schon wieder wütend.
Was weiß ich denn eigentlich über mich? Und wenn ich etwas über mich wusste, was ist es denn jetzt noch wert?
Als Befreiungsschlag fasse ich einen Entschluss und plane die nächsten drei Wochen durch.
Ein Plan, mein Plan. Fast so etwas wie ein Fünkchen Hoffnung am Horizont.