Hier wird eindeutig zu wenig geschrieben in der letzten Zeit. Zum Teil liegt es daran, dass mir immer mehr die Worte fehlen. Einfach so. Die Worte fehlen für die Welt, den Krieg und das Verderben. Sie fehlen aber auch für die Erschöpfung und die Müdigkeit. Selbst für die kleinen stillen Freuden fehlen die Worte. Für die Liebe, die Freundschaft oder den Alltag.
Das Alter macht mich unerwartet sprachlos.
Aber vielleicht gibt es Hoffnung und das gilt nur für die Zwischenzeit. Vielleicht finden mich die Worte wieder, wenn mein Leben mir gehört. Langsam kann ich die Tage zählen, denn mein Entschluss steht fest. Hab die Arbeit und die Gesundheit in die Waagschalen geworfen und mich für die Gesundheit entschieden. Jetzt ist die lange Zeit des Brückenbau angebrochen.
Hatte das Buch schon zweimal in der Bücherei ausgeliehen und jedes Mal geduldig viele Wochen gewartet bis ich dran war. Aber jetzt wurden Nägel mit Köpfen gemacht und es angeschafft. Die Frau im Buchladen meinte, es sei eher ein Möbelstück als ein Buch. Das kann ich nicht gestätigen. Es ist der Inbegriff eines Lieblingsbuch. Dick mit Lesebändchen und voller Geschichten.
Bildbeschreibung: Das Buch Prosaische Passionen liegt auf meiner Kommode aus Kiefernholz.
Zweiter Tag der Lesungen zum Bachmannpreis. Heute etwas fitter, aber immer noch angeschlagen. Ganz toll fand ich die Lesung von Martin Piekar. Richtig großartig. Jacinta Nandis Text fand ich sehr lustig, aber nicht herausragend. Ein unterhaltsamer Text für viele Lebenslagen.
Wie immer beim Verfolgen der Jurydiskussion kommt bei mir irgendwann der Punkt, an dem ich ihre Arroganz unangenehm empfinde. Das hat sich heute über den Tag wieder so aufgeschaukelt. Da sitzen sie in ihren Privilegien-Sesseln und bürsten die Literatur je nach Laune mit oder gegen den Strich. Sie beweihräuchern sich und nehmen sich dann gegenseitig das Krönchen aus der Hand.
Es fühlt sich nicht richtig an, sie ernst zu nehmen.
Erster Tag der Lesungen zum Bachmannpreis. Mir ist ganz flau an Körper und Gemüt, was nicht an den Lesungen liegt, sondern an der gestrigen Impfung. Sie hat mich so ausgeknockt, dass ich Lesungen und Jury Diskussion liegend mit geschlossenen Augen verfolge. Ausfallbedingt gibt es nur zwei plus zwei Lesungen. Das liegt deutlich mehr in dem Bereich meiner Aufnahmefähigkeit, als die übliche drei plus zwei Kombination.
Zwei der Texte gefielen mir ausnehmend gut, zwei fand ich blaß und fad.
Jayrome C. Robinet liest auf Einladung von Mithu Sanyal den Text „Sonne in Scherben“. So ein Geschenk von Text als Einstieg!
Valeria Gordeev liest auf Einladung von Insa Wilke den Text „ER PUTZT“.
Der Wasserhahn. Typische Kalkflecken, scharfkantig umkrustete, matt versprenkelte, weiße, durchscheinende Flecken. Jeder Fleck ein getrockneter Wassertropfen. Oberflächenspannung. Die mineralischen Bestandteile sinken zu Boden und bilden eine Ablagerungsschicht, kristalline Strukturen, ein Zeichen der Wassergüte: Äonen Erdgeschichte sickern ins Grundwasser, bis sie ein kräftiger Ruck, Jahrtausende überwindend, eine Stichstraße hinauf an die Oberfläche befördert und sie auf Leitungen verteilt, in Leitungen verzweigt, kühl und sauber strömend zu den Menschen zurückkehren lässt. Kalkflecken kann man nur gern haben.
Wichtige Lebensentscheidung getroffen und nach und nach realisiere ich, dass ich bald nach einem Abzählreim leben kann. Hab alles auf die Goldwaage gelegt und festgestellt, dass sich meine Lebenszeit nicht auswiegen lässt. Nun zähle ich Erbsen, springe über Stöckchen und mache mir auf alles meinen eigenen Reim.
„Ich tue das, was ich in diesen Momenten meistens mache, ich denke an Mutter und versuche, mich in sie hineinzuversetzen. Ich sollte das nicht tun, denn dann spüre ich jedes Mal ihren Hass und ihren Wunsch, mich zu vernichten.“
Schmerzhaft zu lesendes Buch von Anne Rabe. Legt vergiftete familiäre Beziehungen frei.