Ich komme nicht richtig in den Tag und der Tag kommt nicht mit mir klar.
Die Zeit macht, was sie kann. Sie vergeht.
Stunde um Stunde dieses Gefühl, dass nichts passt. Nicht mal der Wetterumschwung bringt Erleichterung. Er verstärkt eher das Gefühl, dass die Welt ruckelt und zuckt.
Erst gegen Abend fühle ich mich wenigstens ein bisschen geerdet. Nur ein Hauch, der muss reichen für die Nacht.
Heute habe ich zum ersten Mal eine Anfrage abgelehnt mit dem Hinweis auf meinen anstehenden Ruhestand. Ist zwar noch eine Weile hin, aber er wirft wenigstens schon kleine Schatten.
Und wisst ihr was? Ich werde diesen Lebensabschnitt nie, nie, niemals Unruhestand nennen. Never ever. Mein Bedürfnis nach Ruhe hat sich in den Jahrzehnten fremdbestimmter Arbeit so ausgeweitet, dass dieses Unwort ein Unbehagen ohne gleichen bei mir auslöst.
(Bildbeschreibung: grüner Frosch im bepflanzten Teich)
Die Hitze kommt zurück und dennoch ist deutlich zu spüren, dass der Sommer zu Ende geht. Kann es sein, dass ich zur Zeit besonders empfänglich bin, für alles, was zu Ende geht?
Verzweifelt suche ich nach meinem Gedicht. Das schönste Gedicht, das ich jemals schrieb. Versteckt zwischen vielen anderen. Ich befürchte, dass ich es nicht finden kann, ehe ich aufwache. Ich weiß im Traum also, dass ich träume. Nur im Traum ist das Gedicht sicher.
Aufwachen ohne das Gedicht gefunden zu haben schmerzt.
So ein seltsamer Sommer. Ohne längere Erholungspausen. Planen fast nicht möglich. Ich knapse mir drei Tage ab und feiere die Freundinnenschaft. Ansonsten zu viel Anspannung, zu viel körperliche Erschöpfung und eine Müdigkeit von epischen Ausmaß.
Ich behandle mich wie ein rohes Ei, aber selbst dieser Modus ist zu taff.
Tage zählen könnte ich. Aber auch das macht mich traurig.
Im Büro habe ich heute aufgeräumt, als würde ich vier Wochen in Urlaub gehen. Alles weggeräumt, saubergemacht und desinfiziert. Die Pflanzen umhegt, das Licht gut eingestellt. Wenigstens die Illusion einer längeren Abwesenheit.
Geruhsamer Samstagspaziergang. Zeit zum Denken und zusehen wie Raubvögel über dem Hang kreisen. Sie kann sie nicht unterscheiden. Genieße den Augenblick und erfreue mich an den Wolken.
(Bildbeschreibung: Teil der Außenmauer des Ratkellers am Bornheimer Hang mit Graffiti, im Hintergrund blauer Himmel und Wolken)
Zum ersten Mal lese / höre ich Salman Rushdie und kann es nicht fassen. Warum bin ich früher nie auf den Gedanken gekommen, ein Buch von ihm zu lesen? Er ist ein atemloser, fantastischer Erzähler. Seine Phantasie schlägt Purzelbäume. Er schreibt genau diese Art von Geschichten, wie ich sie mag.
Na, jedenfalls kann ich jetzt aus dem Vollen schöpfen. Denn beeindruckend produktiv war er all die Jahrzehnte auch.
Hab über meinen gestrigen Eintrag nachgedacht und darüber, warum er so jämmerlich klingt. Eigentlich gelten meine Klagen nicht der Bahn und dem Komfort oder Nicht- Komfort auf der Fahrt. Reisen an Wochenenden zu Beginn der Sommerferien ist weder im Zug noch im Auto schön. Das ist schon klar. Aber ich reise nicht zu meinem Vergnügen. Ich reise in dunkle Zeiten, mit Gewicht auf der Seele.
Das Jammern und Klagen hilft mir den Boden unter meinen Füssen wieder zu finden.
Lauter Ersatzklagen und eine kräftige Portion Trauer ist auch dabei.
Hab mich mutig in den Zug gesetzt und die angeschlagene Sommerferien-Baustellen-Infrastruktur mit Verachung gestraft. Mir könnt ihr gar nichts anhaben. Die U-Bahnen fahren nicht, die meisten S-Bahnen auch nicht. Die Stecke Frankfurt-Mannheim ist ein Abenteuer wert. Die eine Rheinseite ist gesperrt oder eingeschränkt ( so genau weiß ich das nicht, ich komme nicht mehr hinterher, bin nicht auf der Höhe der Baustellenmeldungen.) Morgens weckt mich die App und flüstert mir ins Ohr, dass jetzt leider noch eine klitzekleine Brücke ausfällt, der Zug fährt also lieber nach Frankfurt Süd statt an den Hauptbahnhof. Aber das war nur die Aussage am Morgen, am Abend wird er ganz ausgefallen, wegen eines Notarzteinsatzes. Die Anschlusszüge im Nahverkehr begnügen sich mit Schneckentempo. Es lässt sich sogar ein Muster zur Berechnung der realen Fahrzeiten erkennen: sowohl auf der Hinfahrt als auch auf der Rückfahrt kamen ungefähr genauso viel Verspätung dazu, wie die Fahrt regulär gedauert hätte.
Keine Klagen gab es dieses Mal über die Mitfahrenden. Alles nette, freundliche und zugewandte Menschen. Das ist keine Selbstverständlichkeit, das hatte ich schon komplett anders erlebt.
Die Krönung dieser Fahrt war der Zug nach Milano. Sechs Wagons. Jeder genau eine Toilette. Von drei der Wagons waren bei zwei die Toiletten defekt und die dritte war 10 Minuten nach Abfahrt in Frankfurt – da startet dieser Zug – verschissen und verpisst. Die reinste Freude für die Menschen, die nicht wie ich in Karlsruhe wieder aussteigen konnten.
Ich kann mich erinnern, dass ich so viele Jahre gerne Bahn gefahren bin. Kreuz und quer durch Deutschland und die eine oder andere Baustelle war auch dabei. Aber im Moment macht sie es mir wirklich schwer, sie zu lieben.