Der Fluch des Hasen
Ich lese gerade „Der Fluch des Hasen“ von Bora Chung. Meine Güte, sie schreibt bitterböse. Bin gespannt, wie die anderen Geschichten weitergehen.
Ich lese gerade „Der Fluch des Hasen“ von Bora Chung. Meine Güte, sie schreibt bitterböse. Bin gespannt, wie die anderen Geschichten weitergehen.
Einen Alltag zu haben ist ein großes Privileg. Er gehört zu den vielen Selbstverständlichkeit des Wohlstands und tarnt sich oft gut als Herausforderung. Erst wenn das Leben durch Krieg, Armut, Ausbeutung, politische Spannung oder die Repressalien einer Diktatur nicht mehr zu einem Alltag findet, wird deutlich, wie existentiell wichtig ein Alltag für Menschen ist.
Heute Morgen fuhr der Bus ganz alleine für mich zur U-Bahn. Ich weiß nicht mehr, wie lange es her ist, seit ich zum letzten Mal in diesen Bus gestiegen bin. Der Regen hat mich abgeschreckt und so verzichtete ich auf meinen morgentlichen Spaziergang zum Büro. Bemerkenswert daran war, dass ich für die 3,5 km mit Bus und U-Bahn auch nur einen Tik schneller dort ankam, obwohl ich ja bekanntlich im Zeichen der Schnecke geboren bin und Schnelligkeit nicht zu meinen Qualifikationen gehört.
Bildbeschreibung: Selfie von Claudia mit schwarzer Schirmmütze im Bus.
Gesundheitlich geht es aufwärts in kleinen Schritten. Minischritte, aber immerhin.
Im Büro sehe ich meinen großen Überblickkalender ehrfürchtig an. Es ist der letzte seiner Art. Er hatte so viele Vorgänger, aber das Leben ist endlich. Mein Leben ist endlich, die fremdbestimmte Arbeit ist endlich und 2024 ist mein besonderes Jahr.
Ich zelebriere meinen Abschied. Ich schaffe Distanz. Ich ordne mein letztes Arbeitsjahr. Hab einen Abschiedsfahrplan erstellt. Ich bin eine fleißige und gründliche Abschiedsnehmerin.
Mein neuer Staubsauger ist ein Traum. Leise, handlich und es ist so einfach damit zu hantieren. Er steht aufrecht in der einzig möglichen Ecke meiner kleinen Wohnung und jedes Mal, wenn ich ihn sehe, freue ich mich, dass ich diese Kaufentscheidung traf.
Geld bzw. Geld ausgeben macht halt doch manchmal glücklich. Lasst euch das bloß nicht ausreden.
Der Februar gibt sich heute frühlingshaft. Mir tut die Sonne und das Licht gut. Im Schneckentempo kommt meine Energie zurück. Ich darf nicht zu viel erwarten. Aber es fühlt sich wunderbar an. Auch kleine Schritte verbreiten ihren Zauber.
Mit dem letzten Satz des letzten Eintrags lag ich absolut falsch. Am nächsten Tag wurde nichts besser. Die Erkältung hält sich hartnäckig und ignoriert meine Wünsche nach Gesundheit und Wohlbefinden.
Aber heute habe ich wieder so ein Gefühl, dass es besser werden könnte. Jedenfalls habe ich zum ersten Mal in der Nacht so einigermaßen geschlafen, dass es als Nachtschlaf durchgehen kann. Das ist ein Durchbruch.
Das Ziel ist in Sichtweite. Jetzt nur nicht übermütig werden.
Meine Erkältung hält mich im Bett und der reine Wille gesund zu sein entfaltet keine Wirkung außerhalb der träumenden Zone. Es fällt mir schwer, mich damit abzufinden.
Ich fühle mich von der Welt abgeworfen. Mein Kalender zählt nicht mehr. Meine Prioritäten bröseln auseinander. Seltsam unvernünftige Einstellung zu einer profanen Erkältung.
Die einzige vernünftige Entscheidung in dieser Situation, ist die, dass ich mich nicht für mobiles Arbeiten entschied. Denn das wäre die größte Augenwischerei gewesen. Ich bin krank, ich bin schwach, ich bin quengelig. Ungeduldig. Unruhig.
Morgen wird alles besser.
Zuhause angekommen und völlig entkräftet zuerst einmal zwei Stunden geschlafen. Nicht eine Sache ausgepackt. Kurz etwas gegessen, dann noch mal eine Stunde geschlafen und erst jetzt habe ich das Gefühl langsam wieder mit meiner Lebenswelt in Kontakt zu treten.
Beim Toilettengang die große Überwindung, das Papier in die Toilette zu werfen. Das gehört sich in Kuba nicht.
Langsam, ganz langsam nehme ich mein Zuhause bewusst wahr. Mit dem Ankommen kommt auch die Dankbarkeit und die Freude über die Bequemlichkeit und die Privilegien, die mit diesem Zuhause verbunden sind. Ein Prinzessinnenreich ganz alleine für mich.
Morgen fliege ich nach Hause. Verschnupft und mit kratziger Stimme trete ich den Heimweg an. Havanna ist rauer als sonst. Den Menschen in Kuba fehlt die Perspektive, die Hoffnung, das Geld, das Essen, aber auch der Tourismus. Der Individual-Tourismus ist fast vollständig zum Erliegen gekommen. Nur ab und an verirren sich ein paar Reisende zu den Casa Particulares, die vor der Pandemie gut ausgelastet waren.
Vielleicht geht da eine Ära zu Ende. Vielleicht ist sie schon vergangen.
Es ist so schade für die Menschen, die hier leben. Ich verstehe die Hintergründe nicht, die zu dieser fortwährenden Krise führen. Die Inflation hält alle in Atem.
Im Jahr 2020 kamen wir in ein Land, in dem es einfach nichts zu kaufen gab. Nichts. Nada. Heute sind die Märkte und die Straßenstände voll, aber die Menschen können sich keine Zwiebel, keine Tomaten leisten.
Es gibt kein Zucker und kein Salz zu kaufen. Auf der Insel der Rohrzuckerproduktion gibt es keinen Zucker. Wir hören das von allen Menschen und tragen die Erzählungen weiter.
Haben sie in Matanzas Zucker? Fällt der Strom in Camagüey auch aus? Was kosten die Tomaten in Havanna?
Wie soll das hier weiter gehen?