Wenn du chronisch krank bist, nimmst du deine Krankheit mit, wenn du in Urlaub fährst. Das klingt ziemlich banal, ist aber in der Praxis sehr anstrengend und gewöhnungsbedürftig.
Ich habe mich so auf diese Urlaubswoche gefreut, muss aber feststellen, dass die Symptome hier in kurzer Zeit ziemlich ausgeschlagen haben. Zu viel Veränderung tut dem Immunsystem gar nicht gut und jetzt kämpft es wieder seinen sinnlosen Kampf.
Es war trotzdem eine gute Idee, hierher zu fahren. Ein bisschen Geduld ist jetzt gefragt, ein bisschen Selbstfürsorge und die Gewissheit, dass es richtig ist, die Krankheitshöhle ab und zu zu verlassen.
Verlassen. Verriegelt und verschlossen. Eingefallen. Beschmiert. Die Natur übernimmt und lässt Bäumchen und Blümchen wachsen. Ich wünschte das Foto könnte ein Sinnbild sein. Für alles, was möglich ist.
Ich bin hoffnungsvoll in meinem Schmerz.
Bildbeschreibung: Die verfallene Fassade eines alten Hauses in Marseille. Auf dem Rolltor ein Graffiti, grüne Pflanzen und eine Blume wachsen aus der Fassade und oben ein kleines Bäumchen.
Die Uhren wurden zurückgestellt und wenigstens in dieser Hinsicht fühlt sich die Welt wieder stimmig an. Ansonsten bietet sie nicht zu viele Lichtblicke. Zuviel Gräuel. Zuviel Leid. Zuviel Unvernunft.
Ich bin 62 Jahre alt und rücke mir täglich mein Leben zurecht. Vorsichtig und mit so viel Aufmerksamkeit wie nur möglich. Es ist erstaunlich, wie viel Kraft das Leben kostet. Wie schwer der Alltag sein kann, selbst unter privilegierten Bedingungen. Jetzt wo mein fremdbestimmtes Arbeitsleben dem Ende zu geht, merke ich erst, wie viel Energie ich in das Funktionieren stecken musste. Und nun, wo die Entscheidung zum Ausstieg getroffen ist, steigt der ganze Unmut in mir hoch. Dass diese Arbeit so irre viel von meinem guten Leben mitgenommen hat. Unnötigerweise. Denn die meiste Kraft wurde ja nicht für die bezahlten Tätigkeiten aufgebracht, sondern für das Funktionieren in Strukturen.
Wie auch immer. Ich bin weiter im Überlebensmodus. Im Erholungsmodus. Greife nach jedem Strohhalm und träume mich lebendig.
Es regnet am Bornheimer Hang. Aber auf dem Foto sieht der trübe Tag nach goldenem Oktober aus.
Es ist eine Ewigkeit her, seit ich hier etwas geschrieben habe. Es fehlt die Kraft und die Energie. Aber ich ahne einen Silberstreif am Horizont. Ganz langsam kommt auch wieder Energie zurück. Jetzt nur nicht ungeduldig werden.
Weiter im Schongang bleiben. Schritt für Schritt, Tag für Tag sehen wie es mit mir und dem Leben weitergeht. Die Prioritäten verändern sich. Es fühlt sich seltsam an, mich wie ein zerbrechliches Wesen zu behandeln. Aber das bin ich wohl. Fragil und trotzdem zäh.
Bildbeschreibung: Nussbäume mit gelben Blättern, auch der Boden ist mit Blättern bedeckt. Herbststimmung.
Ich bin immer noch auf der Suche nach Lebensenergie. Mit dem bisschen, das ich habe, haushalte ich geizig. Die Arbeit nimmt sich wie immer mehr als ihr zusteht. Die Gesundheitsfürsorge schnappt sich den Rest.
Bildbeschreibung: Claudia mit schwarzer Schirmmütze und verdunkelter Brille im türkisfarbenen Pullover im Freien.
Aber auch daran gewöhnen wir uns. Jetzt gibt es Timelines für zwei Kriege und die faschistischen, offen antisemitischen Parteien kommen so richtig ins Rollen.
Vor kurzem habe ich das Video von Marina Weisband gesehen, in dem sie erklärt, warum sie sich öffentlich nicht mehr zum Ukraine-Krieg äußert. Das kann ich so gut verstehen. Alles kommt genauso wie vorhergesagt. Die Kriege, der Terror, die Klimakatastrophe.
Es macht so müde, jede Vorhersage immer auf den Punkt eintreten zu sehen. Das war während der Pandemie gespenstig und jetzt ist es das noch mehr.
Sonja kommentiert, ich sei geübt im Umgang mit mir selbst. Die Ärztin sieht das anders. Es gibt Nachholbedarf und ich weiß nicht so recht, wie ich damit beginnen soll.
Letztendlich entscheide ich mich dafür, es so anzugehen, wie ich andere Dinge angehe, die mir wichtig sind und für die ich stehe. Ich plane. Ich priorisiere. Ich trage Termine in meinen Kalender ein. Lege Ziele fest: Alle Impfungen, alle Vorsorgeuntersuchungen, jedes körperliche Sympoton wird medizinisch verfolgt.
Es kommt mir sehr aufwändig vor. Kompliziert. Zeitintensiv.
Viel lieber möchte ich einfach warten, bis die Zeit verfliegt und die Gesundheit wieder kommt. Sich die Krankheiten im Nichts auflösen. In der Welt verschwinden.
Aber ich sehe es ein. Der Kinderwunderglaube hilft hier nicht weiter. Gesundheit heißt Verantwortung übernehmen und sich selbst wichtig zu nehmen.
Langsam geht es wieder aufwärts. Ich genieße das Gefühl, wenn die Energie wieder fließt. Noch nicht ganz rund, aber so dass ich Land sehe. Die Infektion hat mich doch ziemlich gebeutelt.
Aber jetzt habe ich zaghaft Urlaubspläne gemacht. Und mir selbst versprochen, dass ich es behutsamer angehen werde.
Bildbeschreibung: Portrait von Claudia im Freien mit schwarzer Schirmmütze und verdunkelter Brille
Immer noch angeschlagen. Mich hat es ziemlich heftig erwischt. Hoffe sehr, dass es jetzt Tag für Tag aufwärts geht.
Gestern abend hab ich auf TikTok mein Hochzeitskleid aus dem Jahr 1981 gefunden. In meiner Erinnerung war das Kleid tausendundein Mal schöner. Fotos von der Hochzeit gab es keine. Für bürgerliche Konventionen dieser Art, hatten wir keinen besonderen Sinn.