Der Besuch im Pflegeheim fühlt sich immer an, als falle ich durch ein Zeitloch. Es macht wumm und ganz plötzlich läuft die Welt in Zeitlupe ab. Die Bewegungen sind langsamer, die Gedanken werden zu einem zähen Brei und die Gefühle liegen unter einem Wattebausch.
Ich kann nicht beschreiben, welche Verwandlung da vor sich geht. Aber ich ahne, dass die Welt sich nicht begreifen lässt, solange dieser Fleck so blind bleibt.
Festhalten möchte ich die Stille. An mich halten. Aber schon sind sie wieder vorbei.
Lange darauf gefreut, jetzt sind die Feiertage im Meer der Zeit versunken. Es ist ein Klischee, aber eins, das Wort hält: Je älter ich werde, desto schneller vergeht die Zeit. Vor allem die guten Tage.
Hab meinen Morgenspaziergang unter dem Regenschirm gut geschützt gemacht und dabei an so vieles gedacht. Das nächste Jahr wird ein Jahr der Veränderungen werden, aber ich bin nicht gut in Veränderung.
Auf dem Heimweg lehne ich es ab, für einen obdachlosen Menschen Kaffee zu holen. Er streckte mir das Geld für den Kaffee hin, weil er auf seinen Einkaufswagen aufpassen muss. Ich überlege kurz und lehne ab. Es ist zu früh, ich kenne weit und breit kein Geschäft, bei dem ich an diesem Tag und um diese Uhrzeit einen Kaffee bekomme.
Es fühlt sich nicht gut an, Wünsche nicht erfüllen zu können. Nicht mal die kleinen.
Und dann bleiben immer noch die großen Wünsche.
Friede auf Erden ist so einer. Ich wünsche ihn mir.
Friede auf Erden und in mir.
Bildbeschreibung: Foto in schwarzweiß, Innenraum eines Cafés mit Theke, Barhocker und Weihnachtsdeko. Im Vordergrund eine brennende Kerze auf einem Tisch.
Meine Müdigkeit nimmt ein episches Ausmass an. Es gelingt mir schon lange nicht mehr meine Kräfte einzuteilen. Ich muss mit den paar Tropfen Lebenssaft leben, die die Lebenspresse aus mir herauströpfeln lässt. Das muss reichen in diesen Tagen.
Ansonsten sind die Kranken weiterhin krank. Der Versuch aus der Krankenwelt auszubrechen, endet mit weiteren Krankheitstagen. Meine Güte! Das ist beängstigend im Ausmass. Die Viren feiern die Feste wie sie fallen.
Ich wünschte mir, ich könnte die Augen schließen und mich wegträumen. Weg von der Last. Weg von der Gewalt. In eine Welt in der Hoffnung keine Drohung ist. Und Menschlichkeit kein Schimpfwort.
Das Alltagskarussell dreht sich so schnell, dass mir schwindelig wird. Vorweihnachtszeit. Dienstlich drehen sie auf, ein Teil der Beschäftigten ist immer krank. Termine werden vereinbart, abgesagt, neu vereinbart. Alles ein großes Durcheinander, das mich viel Kraft kostet.
Meine Ziellinie ist ungefähr 200 verbleibende Arbeitstage entfernt. Das müsste zu schaffen sein.
Ich plane für Kuba. Dieses Mal mit tropischer Expedition. Will ich wirklich irgendwo hin fahren, wo ich ein Mosikitonetz brauche? Die Mücken finden mich doch selbst in mückenfreien Räumen? Es ist zu spät. Ich hab zugesagt. Jetzt brauche ich Reisetabletten und Moskitonetz und wer weiß noch was. Eigentlich weiß ich gar nicht mehr, wie eine einen Koffer packt. Sind zwar noch ein paar Tage hin, aber für Kuba gilt halt nicht der übliche Spruch „Das kannst du alles Vorort kaufen.“ Da muss alles vorher durchdacht sein. Genau überlegt und abgewogen.
Ich packe meinen Koffer – zunächst nur im Geiste, ist ja noch ein bisschen Zeit – und lege Medikamente, Geschenke und Batterien hinein. Seife und allerlei Hygienekram. Akkus, Stecker und Stromanschlüsse. Tücher, Haarbänder, Schreib- und Malsachen. Ein bisschen Raum noch für mich.
Ich packe meine Vorfreude und meine Expeditionslust ein.
Sogar jede Menge Vorbuchungen gibt es dieses Mal. Das ist neu. Fahrkarten für den Viazul. Eine kubanische Simkarte für Tourist*innen lässt sich nur am Flughafen abholen, wenn sie vorher online gekauft wurde. Nach der Einreise und vor dem Zoll. Oder umgekehrt. Hab es vergessen. Aber es ist wichtig. Du kommst sonst nicht mehr dran.
Hab mir ein Stickset gekauft. Eigentlich zwei. Zwei kleine Beutelchen zum Besticken sollten es sein. Als ich sie auspackte, erinnerten sie mich an das Foto mit den Tannennadeln und der Bildunterschrift dazu „Hab einen Tannenbaum bei IKEA gekauft. Bin eine Weile mit dem Aufbau beschäftigt.“
Die Anleitung konnte ich mir wenigstens noch auf Din A3 vergrößern, aber beim Sticken selbst rate ich eher, wie die Vorlage gemeint sein könnte. Falls das Stickwerk fertig ist, beginnt das große Rätselraten, wie aus den tausend Einzelteilen ein Säckchen werden könnte. Vielleicht haben sie deshalb gleich zwei verpackt. Bestimmt hat es noch nie jemand auf Anhieb geschafft, das Säckchen fertig zu stellen.
Sticken ist eine super Sache, aber leider kein 60+ Hobby. Jedenfalls nicht für Anfängerinnen. Es sei denn sie sind in einen Zaubertrank gefallen und haben unsterbliche Adleraugen.