Monika III – das schlafende Mädchen
Die Geschichte ist mir selbst etwas unheimlich, aber ich habe mich noch einmal dran gemacht, sie weiter zu schreiben. Bin mir noch nicht sicher, wohin sie führt.
hier die Fortsetzung:
Immer gelang es Kerstin nicht, die Straße am Dorfrand und das Haus des Opas zu meiden. Kerstin wusste das. Aber sie wusste nicht, was sie sonst tun konnte. Das schlafende Mädchen war verschwunden. Nicht mehr da – so als wäre es nie da gewesen; und vielleicht war es auch nur ein traum gewesen. Was sollte es auch anderes sein? Kein Mädchen konnte so ruhig schlafen. So leicht, so lautlos. Irgendwann hätte das Mädchen aufspringen müssen. Lachend, prustend – oder auch lärmend und wütend, weil die rosen sie piksten.
Nur so leicht und lautlos weiterschlafen – das geht doch nicht in Wirklichkeit. Das konnte höchstens Dornröschen und das lebte – wie jeder wusste – im Märchen und nicht in dem Dorf in dem Kerstin wohnte.
Geh nicht mit Fremden und steig in kein Auto ein, sagten die Erwachsenen fast alle Tage.
Dabei gab es kaum fremde, die durchs Dorf liefen und ie Autos hielen schon gar nicht an. Die brausten die hauptstraße entlang und liesen die gebäude rechts und links erzittern. Die, die in Kerstins straße abbogen, die hätten sie höchstens zum Bach mitnehmen können. Dort war Schluss, die Straße war zu Ende. Außerdem waren alle Männer froh, wenn sie Ruhe vor den Kindern hatten. Kinder waren zu laut, zu scmutzig, zu störend. Die Männer, die ein Auto hatten, nahmen Kinder höchstens an Feiertagen mit. Zur Kirche, wenn alle Sonnatagskleiung trugen – und nur die eigenen oder die verwandten Kinder und wer wird die schon entführen.
Aber Kerstin wusste schon, was die großen meinten. In den nachrichten hatte sie es gehört und die Erwachsenen tuchelten darüber.
Entführung. Manchmal wurden Menschen entführt um Lösegeld zu erpressen. Besonders böse Ganster entführten auch Kinder, weil das einfacher war. Und dann konnte es passieren, dass den Eltern das Ohr des Kindes zurückgeschickt wurde. Kerstin hatte ein Ohr groß und deutlich auf der Titelseite der Zeitung mit den Bildern gesehen.
Der Junge hatte Pech. Sein Opa war alt und böse, aber unheimlich reich. Alle sagten, erwürde nicht zahlen, auch wenn wei Ohren und noch mehr Körperteile geschickt würden. Kerstin fand das nicht fair, denn der Junge konnte ja nichts dafür, dass sein Opa reich und böse war.
Überhaupt: es war nicht fair, die Probleme der reichen mit den anderen zu vermischen. So blöd wäre doch also kein Gangster! Kein Gangster der Lösegeld haben will würde in ihrer Straße ein Kind entführen und Lösegeld erpressen wollen. Deshalb konnten die Großen sich das Geplapper auch ersparen. Hier stieg niemand in ein fremdes Auto.
Mit Opas kannte sich Kerstin nicht gut aus. In den Märchen und Geschichten kamen sie nie vor, ihre Eltern, Tanten und Onkel hatten keine Opas und den den Kerstin in der Stadt hatte, kannte sie nicht gut. Die von denen sie wußte, waren entweder böse wie der aus den Nachrichten oder undurchschaubar, wie der in der Straße am Dorfrand. Aber der war ja auch kein richtiger Opa. Der nannte sich ja nur so. Er hätte auch einfach seinen Namen sagen können.
Manchmal war es nicht einfach, das Haus in der Straße am Dorfrand zu meiden. Ganz einfach war das nicht, lag doch der Kirmesplatz dahinter. Auf dem zweimal im Jahr das große Karussel mit den Boxautos und der Schiffschaukel stand und ab und an ein kleiner Zirkus sein Zelt aufbaute.
Außerdem war der Opa sehr beliebt und Kerstins Freundinnen und viele Kinder aus ihrer Straße gingen aus und ein in diesem Haus.
Warum gehst du nicht mit, fragte Charlotte und Kerstin zuckte mit den Achseln.
Wir können auf Toilette bei ihm gehen und neues Wasser für die Luftballons holen.
Ich brauch kein Wasser für den Ballon, ich darf mich nicht schmutzig machen und ich kann ins Feld gehen, wenn ich Pipi muss. Kerstin klang überzeugend, obwohl sie mit Grausen an das letzte Erlebnis im Feld, als sie mal musste.
Na, dann nicht. Ich gehe jedenfalls Wasser holen. Charlotte schwirrte ab und Kerstin ging alleine weiter. Sie hatte sich einen geheimen Weg erkundet, den sie gehen konnte um zum Kirmesplatz zu gelangen ohne an diesem Haus vorbeigehen zu müssen.
Kerstin lief den Asphaltweg durch die Felder. Das war ihr Refugium in dem sie die Gegend durchstreifen konnte. Außer Traktoren gab es keinen Verkehr. Aber heute hörte sie plötzlich einen Motor. Sie drehte sich um und sah ein Auto auf sich zukommen. Ein großes, schwarzes Auto führ im Schritttempo den Asphaltweg entlang auf sie zu. Kerstin trat einen Schritt ins Feld und sah dem Auto zu. Was wollte es nur hier? Es wusste doch jeder, dass dahinten nur das Feld und die Bahngleise sind. Über die Gleise kann man nur auf der Hauptstraße und die war weit weg.
Kerstin drückte sich noch ein Stück weiter in das Feld und hielt den Atem an. Der Wagen fuhr an ihr vorbei und sie sah ihm hinterher, bis es plötzlich stoppte und den Rückwärtsgang einlegte. Kerstin wäre jetzt gerne weggelaufen, aber sie traute sich nicht mehr sich zu rühren. Das Auto hielt jetzt vor ihr an und das Seitenfenster wurde runtergekurbelt. Erst jetzt sah Kerstin eine Frau und einen Mann im Auto sitzen.
Kannst du uns sagen, wo es nach Sondhofen geht?
Kerstin schwieg zitternd.
Nach Sondhofen, versuchte es die Frau noch einmal. Geht es nach Sondhofen hier entlang?
Kerstin schüttelte den Kopf.
Hier nicht. Dann müssen wir umdrehen und dort wieder zurück?, die Frau zeigte nach hinten und Kerstin nickte.
Das Auto fuhr rückwärts in das Feld, drehte um und fuhr die Asphaltstraße zurück.
Kerstin atmete auf. Das war gerade noch mal gut gegangen. Obwohl, wenn eine Frau dabei war, die würde doch keine Kinder entführen? Kerstin war sich da nicht so sicher. Auf alle Fälle waren das Fremde und wenn die jetzt noch gemeint hätten, dass sie reiche Eltern hätte, dann hätten sie Kerstin vielleicht doch entführt. Es wäre besser gewesen, wenn sie gleich weggelaufen wäre. Das nahm sie sich für die Zukunft vor.