Monika II
erster Teil
So sehr sich Kerstin auch den Kopf zerbrach, sie kam nicht weiter mit dem Geheimnis des schlafenden Mädchens. Sie war sehr wütend darüber, dass der Opa ihr so eine Lüge erzählte. Jedenfalls machte sie jetzt immer einen großen Bogen um sein Haus. Oder besser gesagt, sie vermied die Straße am Dorfrand so gut es nur ging.
Dabei war sie vorher so gerne zu dem Opa gegangen. Nicht nur Sonntags; aber Sonntags war es am Besten, weil Sonntag sonst so langweilig, öd und anstrengend war. Kerstin hatte Sonntags ihr Kleidchen an und durfte sich nicht schmutzig machen. Michi war bei seiner Patentante am Ende der Straße und die Eltern wollten ihre Ruhe haben.
Zwei Stunden in der Woche könnt ihr uns doch mal in Ruhe lassen, sagte Mutter oft. Es kann doch nicht sein, dass du immer dann auf Toilette musst und wieder klingelst, wenn wir uns nach dem Essen Sonntags mal hinlegen.
Kerstin seufzste. Aber so war es nun mal. Kaum wusste sie, dass sie jetzt nicht mehr klingeln sollte und schon musste sie Pipi. Sie trippelte dann hin und her, aber das nutzte nichts. In der Woche war das kein Problem, da hatte sie ihre Spielkleidung an, ging ins Gebüsch, wo niemand sehen konnte und setzte sich. Aber Sonntags ging das nicht. Sie hatte das einmal versucht und das Ergebnis war eine Katastrophe. Wobei das schmutzige Kleidchen noch das kleinste Übel war. Weit schlimmer war, dass sie sich die weißen Strumpfhosen total nass gemacht hatte. Das war furchtbar. Die Strumpfhosen ließen sich nicht richtig runterziehen und Kerstin merkte sofort, dass alles nass wurde. Sie sprang auf, aber das machte die Sache nur noch schlimmer. Alles war nass: Das Kleid, die Strumpfhosen und die Unterhose. Kerstin weinte und zog die Unterhose hoch. Ihh war das eklig! Als hätte sie in die Hose gemacht. Die Strumpfhosen wollten aber nicht mehr hochrutschen. So sehr Kerstin auch zog und zerrte. Sie verdrehten und verknulen sich, ließen sich aber nicht mehr hochziehen. Kerstin war verzweifelt und wusste nicht mehr aus noch ein. Sie ließ sich auf ihren Po plumsen und zog Schuhe und Strumpfhosen aus und dann wieder die Schuhe an. Hinter dem Gebüsch hörte Kerstin die Jungen aus dem haus am Eck.
Sie hielt den Atem an und blieb ganz still sitzen. Wenn sie Kerstin sähen, dann würden die Jungs sie auslachen und ihr dumme Reime hinterher rufen. Aber zum Glück bemerkten sie sie gar nicht und die Mutter schimpfte so über das schmutzige Kleid, dass ihr die fehlende Strumpfhose am Abend gar nicht auffiel.
Das war Kerstins Erfahrung mit dem Pipi-Machen im Freien. Das wollte sie auf keinen Fall mehr erleben. Aber als sie das nächste Mal wieder zu Hause klingelte, kam ihr Vater an die Wohnungstür. Das geschah sonst nie.
Kerstin deine Mutter hat dir doch schon so oft gesagt, dass du uns mal eine kurze Zeit für uns lassen sollst. Seine Augen funkelten sie dunkel an.
Dann bleib ich halt drinnen und spiele im Zimmer.
Im Zimmer, die Stimme des Vaters hob sich. Kannst du dich erinnern, was für ein Lärm du beim letzten mal dabei gemacht hast? Nein, lass uns doch die paar Stunden, die wir in der Woche Ruhe haben.
Kerstin konnte sich sehr gut daran erinnern, dass sie sich Michis kleinen Kinderstuhl geholt hatte und ihn auf die Wäschetruhe stellte, damit sie an die Glaskugel mit dem Schnee auf dem Regal käme. Sie war natürlich nicht dran gekommen, aber dafür war sie mit dem Stuhl von der Truhe gefallen und hatte sich die Arme böse aufgeschlagen. Die Eltern waren vom Lärm natürlich aufgewacht und hatten sie ausgeschimpft.
Am besten wäre natürlich gewesen, Kerstin hätte auch eine Patentante. So wie Michi. Eine die sie abholte und mit ihr Ausflüge machte. Aber die hatte sie nicht. Ihre Patentante wohnte in der Stadt. Weit weg. Es gab eigentlich nur einen Namen: Sieglinde.
An Tante Sieglinde konnte sich Kerstin nicht erinnern. Es gab Fotos von ihr, wie sie ein Baby auf den armen hält. mit schicker Hochfrisur und einem Kostüm mit Rautenmuster.
Aber Tante Sieglinde kam Sonntags nicht, sie kam nie und Kerstin musste alleine sehen, wie sie zurecht kam.
An einem Sonntag war sie die Straße lang gelaufen und da war der Opa am Fenster und fragte ob sie ihn besuchen käme. Sie war etwas vorsichtig, denn hier im Dorf da besuchte man sich nicht, höchstens die Verwandten und mit dem Opa war sie nicht verwandt. Sie blieb draußen stehen und fragte, wie er heißt.
Ich bin der Opa, antwortete er.
Aber mein Opa bist du nicht! Kerstin legt Wert darauf, dass alles sein Ordnung hat. Mein einer Opa liegt im Grab und der andere wohnt in der Stadt.
Ich bin trotzdem der Opa. Alle nennen mich den Opa, dann kannst du auch Opa zu mir sagen. Einen anderen Namen habe ich nicht mehr.
[…] Monika I Monika II […]
Eine wirklich schöne Geschichte, ich muss gleich zum nächsten Teil weiter!
Grüße, Lisa von
Glaserei München