Mitleid

Melusine Barby schreibt Kluges dazu.

Mein Kommentar:
Ich hasse die von dir beschriebene Form des Mitleidens so sehr, dass ich in meinem beruflichen Umfeld sehr stark aufpassen muss, dass ich diese Emotion nicht zu stark vertrete. Denn es diejenige, die sich so emotional gegen das Charity-Gedöns äußert, die ist in jeder Hinsicht verdächtig.
Dennoch möchte ich an dieser Stelle eine Lanze für das Mitleiden brechen. Echtes Mitgefühl ist eine menschliche Tugend. Sich wirklich in die Situation des anderen hineinversetzen können ist eine Gabe. Und sie ist Tausend Universen weit von dem entfernt, was der Kapitalismus an Mitleidsritualen erfunden hat, um das Oben-Unten-Gefühl zu zelebrieren.

Comments (11)

ViolineNovember 26th, 2011 at 17:33

Irgendjemand hat mir mal erzählt – oder ich habe es gelesen -, dass man zwischen Mitleid und Mitgefühl unterscheiden muss. Mitgefühl gut, aber Mitleid nein. Mitgefühl bedeutet Solidarität, ein mitleiden dagegen verschlimmert jegliches Leid. Sei es ein Mitleiden, weil man sich nicht abgrenzen kann oder Mitleidigkeit, die von oben runterguckt.

claudiaNovember 26th, 2011 at 19:21

Ich weiß nicht – ich gehe da ein Stück weiter. Mitgefühl ist der erste Schritt, aber mitleiden ist die Kür. Das unveränderliche Leid zum Beispiel zu begleiten, davor scheuen sich viele Menschen. Bestenfalls gelingt da das Mitgefühl, aber das ehrliche und aufrichtige Mitleiden bedeutet in diesen Situationen Beistand. Und aus meiner Sicht verschlimmert das auch nicht das Leid. Leider kann man es damit auch nicht teilen, das wäre toll, aber leider funktioniert das nicht.

ViolineNovember 26th, 2011 at 19:23

Was mich lehrt, mitzuleiden, das Leid anzuerkennen, anzunehmen, ist das Blog von Ilana. Die hat es wirklich schwer getroffen, klärt darüber auf. Und so manches mal finde ich es ganz schön hart, nicht helfen zu können.

claudiaNovember 26th, 2011 at 19:49

Genau das ist der Unterschied zwischen diesem Charity-Gedöns und dem wirklichen Mitleiden: Akzeptieren, dass man nur daneben stehen und nicht helfen kann.
Wenn es wirklich ernst ist, meine ich. Die anderen Probleme wie Hunger und Armut, die könnten wir angehen, wenn wir endlich mal diesen bescheuerten Kapitalismus beiseite legen – aber das wollen die Mittelstandsladys ja nicht. Die möchten sich als die edle Spenderin wahrnehmen.

Melusine Barby aka J.S. PiveckovaNovember 27th, 2011 at 13:08

Liebe Claudia, der Film „Halt auf freier Strecke“, den ich gestern gesehen habe, hat mich noch mal drüber nachdenken lassen, was mich am „Mitleid“ (in der Definition, wie die Aufklärer sie vorschlagen) auch jenseits des Charity-Gedöns stört. Ich glaube, es ist die Identifikation des Mitleidenden mit dem Leidenden, die ich als anmaßend wahrnehme. Das Leid des anderen kann ich nie unmittelbar „mit erleiden“. Im Ernst weiß ich gar nicht, was er/sie tatsächlich fühlt. Ich kann nur versuchen, zu erahnen, was ihr/ihm gut tut. Das Identifikationsangebot im „Mitleid“ (das ich vielleicht überbetone), scheint mir zu Gefühlsschablonen zu führen: wie „man“ sich fühlt, wenn man Krebs hat, wie „man“ sich fühlt, wenn jemand stirbt, wie „man“ eine Depression erlebt. Damit nimmt „man“ doch den tatsächlich Leidenden die Möglichkeit, es jeweils auf ihre eigene Weise zu erfahren, die kein anderer/keine andere ganz versteht. „Da sein“ ist schwer und noch schwerer ist es vielleicht, das zu ertragen, auch wenn man nicht weiß und versteht, wie es dem anderen ergeht. Annehmen kann jede/r vielleicht nur das eigene Leid und nicht das des anderen. Das ist auch traurig und schwer zu ertragen: Dass jede/r seins/ihres allein tragen muss. Dennoch gibt es Trost: Dass man sich lieben kann, ohne sich miteinander zu identifizieren.

ClaudiaNovember 27th, 2011 at 17:34

Ich bleibe bei meiner Interpretation des Mitleidbegriffs und bei der damit verbundenen radikalen Perspektive. Vielleicht fällt mir das leichter, weil ich von meiner Natur her ein passiver Mensch bin, aktive Menschen scheinen sich schwer zu tun, das mitleiden als etwas Passives zu begreifen.
Für steht deshalb das Begleiten, das Annehmen und das Miteinander weitergehen im Zentrum des sogenannten Mitleidens.
Ich kann das leider nicht so gut formulieren – und leider ist diese Auslegung des Begriffs Mitleid bei uns nicht sehr verbreitet.
Aber es ist möglich und erfahrbar.

ClaudiaNovember 27th, 2011 at 17:42

Bei der Interpretation des Mitleids, die ich meine, geht es nicht eine Sekunde darum wie ‚man‘ sich fühlt wenn. Es geht ausschließlich darum, die Situation des Betroffenen wahrzunehmen, sie oder ihn dem Vorrang zu geben und soweit mitzugehen wie es die jeweiligen Grenzen erlauben.

Vielleicht ist diese Interpretation auch weniger radikal als schlicht und einfach unverschämt, da ich für mich in Anspruch nehme den Begriff „Mitleid“ der so zu diesem Gedöns verkommen ist, neu mit Bedeutung zu füllen. Und zwar mit der Bedeutung, die ich für richtig halte.

Melusine Barby aka J.S. PiveckovaNovember 27th, 2011 at 18:26

Ich verstehe das, was du meinst. „Einfach da sein“. Trotzdem glaube ich, dass es eine Illusion bleibt, wenn eine hofft, sie könne die Perspektive des Betroffenen einnehmen. Du schreibst ja auch: die Situation. Das kann ich eher nachvollziehen. Man bleibt getrennt – und versucht dennoch füreinander da zu sein. Das Mitleid, wie es im Wortsinn meist verstanden wird, impliziert aber, ich könne mich durch Einfühlung selbst in einen „Betroffenen“ verwandeln. Das kann ich meinethalben fürs Theater gelten lassen, aber im Leben erscheint mir das anmaßend. Ich weiß nicht z.B. nicht, wie es ist ein Kind zu verlieren. Ich kann mich da auch nur bedingt einfühlen, weil es für mich ein „als ob“ bleibt. Ich kann nur versuchen, den Schmerz der anderen auszuhalten, ihn durch mein Verhalten nicht wegzudrücken oder zu vermeiden. Und warten. Ja, passiv ist das. Das Wort Mitleid ist für mich zu belastet mit dieser Identifikationsanstrengung und der erhofften karthartischen Wirkung. Vielleicht kann ich mit Beistand besser umgehen (denn Bei-Leid ist ja schon besetzt).

claudiaNovember 27th, 2011 at 18:45

Beistand ist schon ganz gut, aber nicht genau das, was ich meine. Im Prinzip ist Beistand – obwohl es vom Ursprung her sehr passiv klingt – doch wieder eher aktiv. Wenn ich jemand beistehe, dann erledige ich meistens Dinge für diese Person, die diese in ihrer Situation nicht erledigen kann.

Eins ist jedenfalls klar: wenn ich von Mitleid rede, dann meine ich nicht dieses mich in den anderen hineinversetzen, von dem du oben schreibst. Im Gegenteil, dieses abstrakte Aufnehmen der Situation ist nicht nur sehr anmassend, sondern es hält genau von dem ab, von dem ich spreche. Während ich mir das Leid ausmale, entferne ich mich von der realen Situation. Aber das ist genau das, was Menschen häufig tun – und später werden sie dann ungeduldig, weil die betroffene Person ganz anders reagiert, als sie sich das mit ihrem „sensiblen Einfühlungsvermögen“ ausgemalt haben.
Das ist reiner Egoismus und hat mit Mitleid nichts zu tun.
Ich kann verstehen, wenn du das Wort nicht magst. Aber wie gesagt: Ich würde es für mich gern zurückgewinnen wollen und mit einer Bedeutung versehen, die ihm angemessen ist.

claudiaNovember 27th, 2011 at 18:54

Ach ja, und das was ich meine besteht doch aus etwas mehr als einfach da sein. Das da sein – das passt gut zu den Alltagssituationen. Weniger gut zu den Ausnahmesituationen.

Melusine Barby aka J.S. PiveckovaNovember 27th, 2011 at 20:00

Ja, ich verstehe das mit den Ausnahmesituationen. Meine Mama hat mit meiner sterbenden Oma gesungen. All die alten Choräle, die sie noch auswendig konnte. Das war schön. Und eine große Überwindung, denn meine Oma ist für meine Mama „nur“ die Stiefmutter gewesen und ihr Verhältnis war immer schwierig. Doch in dieser letzten Zeit sind sie sich nah gekommen und sie ist versöhnt gestorben. So könnte das vielleicht sein – das andere „Mitleid“.

Mir fällt es schwer, das Wort anzunehmen, weil ich mich in vielerlei Hinsicht als Glückskind empfinde, soviel ist mir erspart geblieben. Ich habe beruflich auch mit Menschen zu tun, die aus Kriegsgebieten kommen, Opfer von Gewalt wurden, schlimme Krankheiten durchleben. Da schien es mir anmaßend, mir das Leid anderer gleichsam „anzuziehen“.

Ein anderes Wort ist mir inzwischen eingefallen: Barmherzigkeit. Die erhoffe ich mir, wenn ich in Not bin. Und gerne will ich sie auch geben, wenn ich´s vermag.

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