Mein Leben
In den letzten Tagen denke ich viel über das Tagebuch schreiben nach. Darüber, was es für ein Unterschied ist, für sich selbst zu schreiben oder öffentlich zu bloggen. Wie wäre es wohl, wenn ich im Blog tatsächlich über meinen Alltag schriebe? Das mache ich in keinem meiner Blogs. Nicht mal in den anonymen. Seltsam: In den anonymen Blogs schreibe ich viel abstrakter und verschlüsselter, als hier in der Sammelmappe. Hier weiche ich nur aus, filtere Personen oder Arbeitsumstände aus meinen Beschreibungen, färbe sie neu ein oder bringe sie in eine verfremdete zeitliche Reihenfolge. So bilde ich mir ein, dass ich auf dem schmalen Grad gehen kann: Persönlich schreiben ohne einen Seelenstriptease hinzulegen oder andere Menschen bloss zu stellen.
Ich bin ich – schrieb das Engelchen letzte Woche in ihrem Blog “Worte an sich sind nichts”. Ich bin ich – ein Eintrag über den Wunsch nach autobiographischem Schreiben. Wie gut ich das nachvollziehen kann! Der Wunsch, die Geschichten festzuhalten. Die Erinnerung soll nicht weiter verblassen. Das wünsche ich mir. Aber so viel ist schon verblasst, so weit in den Hintergrund getreten. Seit ca. zwei Jahren schreibe ich nun täglich meine kleinen Kladden voll. Vorher nur sporadisch – und so viele Dokumente musste ich schon vernichten. Nein, ich habe keinen Krieg und keine Vertreibung erlebt und trotzdem gab es viele Jahre in meinem Leben, in denen ich keine meiner schriftlichen Aufzeichnungen aufbewahren konnte. Einen kleinen Teil der Aufzeichnungen aus meiner Teenagerzeit hatte ich in mein Erwachsenenleben retten können, aber dann habe ich den Packen vernichtet. Aus Notwehr, sozusagen. Aus Notwehr, weil es in meiner Ehe keinen Schutzraum gab.
Ohne die Aufzeichnungen war ich nicht so verletzbar. So konnte ich besser durch das Leben kommen. Es hat so lange gedauert, bis ich bei Engls “Ich bin ich” angekommen bin. Ich war zwar schon immer ich, aber ich war auch immer ein stark polarisiertes Ich: Ein äußeres und ein inneres Ich. Das innere Ich galt es zu schützen.
Und jetzt? Jetzt hab ich mir den Schutz angewöhnt und brauche so lang mich an die Freiheit zu gewöhnen. Daran, dass ich mich frei bewegen kann, frei denken darf und mich frei äußern kann.
Ich weiß nicht richtig, wie ich diesen Eintrag beenden kann. Er klingt so trübsinnig, so traurig. Vielleicht wirft er auch ein falsches Licht. Beleuchtet mein Leben von einer verzerrten Seite. Aber Nachdenken werde ich weiter: über das autobiographische Schreiben.