Journal0210204
Wusstest ihr, dass Trauer bewirken kann, dass ihr nicht mehr gehen könnt?
Ich wusste das nicht. Bis ich nicht mehr gehen konnte.
Meine Mutter ist gestorben. Eigentlich schon vor langer Zeit. Die Demenz hatte sie extrem lange auf einer Bühne gehalten, die nicht mehr ihre war. Am Wochenende ist sie nach langer, schwerer Krankheit verstorben. Dass ich ihre Tochter war, hatte sie schon lange vergessen. Das war schwer und leicht zugleich. Heute ist nicht der Tag, das Licht auf all das zu richten, was sie getan hat.
Es war schlimm, es ist richtig, richtig schlimm. Und jetzt kann ich nicht mehr gehen. Die Ärztin sagt, es sei die Trauer. Ich kann draußen nicht mehr gehen. Der Boden versinkt unter mir.
Ich weine. Ich verstehe nicht, was da passiert. Ich kann mich nicht mitteilen, denn könnte ich es, da wäre es doch wohl nicht möglich, dass eine mich vergessen könnte.
Ich weiß nicht, was das ist. Möchte funktionieren und meinen Rentenabschiedfahrplan einhalten. Es sind so wenige Wochen bis zur Rente. Wie kann es sein, dass ich nicht mehr alleine gehen kann?
In der Packstation wartet ein faltbarer Gehstock auf mich.
Ich will trauern. Ich will trotzdem funktionieren. Ich weine. Um mich und die Welt.
Wäre ich in einer anderen Zeit in einer anderen Kultur geboren, dann wäre ich eine der Tränenweiber. Der Trauerweiber. Ich weine.
(Hab lange darüber nachgedacht, aber ja: das darf in die Welt. )
Liebe Claudia, mein Beileid! Ich wünsche dir viel Kraft und dass die Tränen, wenn sie geflossen sein werden, auch wieder ein Ende nehmen. Meine Mutter starb vor zwölf Jahren, und ich habe vieles, was in der Zeit passiert war, immer noch nicht verstanden. Wenn ein Teil von einer/m geht, braucht es lange Zeit, bis die Wunde, die dabei entsteht, sich schließen kann. Hilfreich fand ich eine Unterscheidung: Es gibt die Welt der Lebenden und der Toten. Und wir sind in der Welt der Lebenden. Das ist wichtig, finde ich. Vielleicht gibt dir der Gedanke auch etwas Halt. Sei beschützt!
Liebe Claudia,
auch von mir mein Beileid!
Trauer kann seltsame Formen annehmen und ich finde es toll, dass Du es zugeben kannst. Wenn die engsten Verwandten wegsterben (besonders die Eltern), haut das immer rein, womöglich egal, was im Leben alles war. Es rüttelt einen ziemlich durch.
Trauer kann einen lähmen – manchmal wortwörtlich, vielleicht, damit sie auch wirklich genug Platz bekommt? Ganz sicher hat das alles aber einen Sinn, auch wenn er sich nicht erklärt. Und ich bin mir sicher, dass du auch wieder beweglich werden wirst, wenn es an der Zeit ist.
Mein herzliches Beileid, liebe Claudia.
Danke für die Bleileidswünsche!