Heiße Tage
Heute morgen machte die Jury beim Bachmannpreis einen sehr unkonzentrierten Eindruck. Ganz schlimm war es bei der letzten Besprechung vor der Pause. Aber auch schon vorher hatte ich das Gefühl, dass es nur noch um die eigene Selbstdarstellung geht und dass die Texte nicht mehr im Mittelpunkt stehen. Ilja Trojanow merkt in der Zwischenmoderation an, dass die Jury die emotionale Ressonaz bei den Leserinnen und Leser nicht berücksichtigt und damit spricht er mir aus dem Herzen.
Ganz entsetzt war ich, als Ijoma Alexander Mangold den zärtlichen Feuerwehrmann in Sudabeh Mohafez’s Liebes-Feuer-Geschichte mit einem Phallussymbol verglich. Der Vergleich passte so ganz und gar nicht zu dieser liebevollen Geschichte über ein Unglück.
Der Nachmittag fängt mit einem nörgeligen Oberlehrer an, der ersten den Moderator überprüft, dann dem Publikum Verhaltensweisen aufdrückt und dann noch – Ja, wen eigentlich? – eines Fehlers überführt, bevor er mit dem Lesen beginnt. Das nervt. Mich jedenfalls – und mit seinem Text geht es mir ähnlich. Auftrumpfen. Scheint sein Motto zu sein.
Jetzt liest Tilman Rammstedt. Der ist wenigstens ab und zu witzig. Lustig. Aber wieder so ein atemloser Vorleser. Davon bekomme ich Herzrasen.
Zum Schluss liest Anette Selg, die von Klaus Nüchtern vorgeschlagen wurde. Sie liest einen Frauentext, mir gefällt’s. Die Jury wird vielleicht sagen, zu emotional oder sogar zu schnulzig.
Genau. Jetzt kommt’s. Banalität und Ornamente. Aber vor allem wird die Lesegeschwindigkeit kritisiert. Für mich – geboren im Zeichen der Schnecke und als überzeugte Leisetreterin – war die Geschwindigkeit genau richtig.
Mir fällt auf, dass ich die Literatur ausschließlich über mein Gefühl beurteilen kann. Mein Gehirn ist mit Texten angefüllt, mein Gefühl bleibt sicher in seinem Urteil.
Zum Schluss sagt Ilja Trojanow noch das, was ich auch so empfunden habe. Vor der Mittagspause gingen die Mitglieder der Jury mit ihren Behauptungen unter die Gürtellinie. Ob das wirklich nur Unkonzentriertheit war?