Ein Kind ist angekommen
Weihnachten – das ist klar – da wird die Geburt eines Kindes gefeiert. Das ist das, was mir am Weihnachtsgedanken am Besten gefällt. Ein Baby kommt auf die Welt und die Aufmerksamkeit der Welt ist auf das Baby gerichtet. So sollte es eigentlich sein. In einer besseren Welt. Gegenseitige Aufmerksamkeit. Ohne Aufmerksamkeit keine Menschenwürde.
Ich hätte da auch noch eine Geschichte. Eine Geschichte von der Ankunft eines Babys. Eine Geschichte vom Willkommen-Heißen.
Es ist schon dunkel als ich das Büro verlasse. Der Wind pfeift mir scharf ins Gesicht, die Lichter der Autos spiegeln sich auf der eisverkrusteten Fahrbahn. Geh vorsichtig, ermahne ich mich. Am Morgen war ich heftig ausgerutscht und zum Glück nur unsanft auf dem Hintern gelandet. Ausgerechnet heute muss ich den Umweg nehmen, um das Päckchen für Frank auf den Weg zu bringen. Der älteste Sohn meiner Schwester Inge wird morgen achtzehn. Jetzt ist er schon erwachsen. Die Straße führt steil nach unten und ich laufe eng am Geländer des alten Hotels entlang. Der Wind peitscht mir fast den Hut vom Kopf. Ich bleibe kurz stehen und wickle den Schal um Hut und Hals, so ist es praktischer.
Vor achtzehn Jahren war es in der zweiten Januar-Woche mild und frühlingshaft. Ich erinnere mich noch gut an den gelb-blühenden Forsythienstrauch von dem ich meiner Schwester gerne ein paar Zweige mitgebracht hätte. Es war mir peinlich, so ganz ohne Geschenk bei ihr aufzutauchen. Aber was hätte sie von einem selbst gepflückten Strauß gehalten? Ich lies es dann lieber. Ich konnte es ihr nie recht machen, so sehr ich mich auch bemühte.
In der Post wartet die übliche Feierabend-Schlange. Nur ein Schalter besetzt. Das kann dauern.
Ich war damals sowieso sehr unsicher wie Inge nach unserem Streit meinen Besuch bei ihr im Krankenhaus aufnehmen würde. Trotzdem: Das Baby war auf die Welt gekommen und ich würde es willkommen heißen. Zwischen den beiden Nachtbereitschaftsdiensten im Altenheim machte ich mich auf den Weg. Ich hatte lange über dem Stadtplan gebrütet bis ich den günstigen Weg gefunden hatte: Zwei Stunden hin, schätzte ich, zwei Stunden zurück und eine Stunde dort. Mit dem Bus wäre es schneller gegangen, aber ich war wieder mal pleite. Die Zeit musste reichen um noch zu etwas Schlaf zwischen den Diensten zu kommen.
Der Weg führte an den Gärten am Sportfeld vorbei. Die Sträucher und Büsche trieben schon kleine grüne Knospen. Viel zu früh. Sie würden den Frühling nicht erleben und taten mir leid. Das Schicksal meinte es nicht gut mit ihnen. Kurz vor dem Krankenhaus sah ich den gelben Forsythienstrauch, von dem ich so gerne ein paar Zweige mitgebracht hätte.
Die Schlange im Postamt rückt nur langsam weiter. Alle vor mir scheinen in kompliziertere Geschäfte verwickelt.
Als ich Inge im Krankenhaus sah, wirkte sie abgekämpft, müde und zerknittert, aber ihre Augen strahlten. Sie beugte sich gerade über das Kinderbettchen und sah auf, als sie mich bemerkte.
Das ist Frank“, sagte sie und nahm das dunkelhaarige Baby auf den Arm. Franks Augen waren weit geöffnet, seine winzigen Ärmchen bewegten sich.
„Er ist gerade aufgewacht, du kannst ihn halten. – Aber nur, wenn du vorsichtig bist. Du musst das Köpfchen halten, dann lege ich ihn dir in den Arm.“
Nur einige Augenblicke hielt ich das Baby in meinem Armen, die besorgten Augen der erschöpften Mutter hielt ich nicht länger aus.
Als ich die Post verlasse, schneit es schon wieder. Die Räumfahrzeuge fahren mit Blinklicht ihre Runden.
Passt so viel besser in unsere heutige Zeit als der Zuckerwatte-Mythos-Erzählstil der Weihnachtsgeschichte in der Bibel.
Danke.
Oh, danke. Ich hatte nicht im Ernst vor mit der Weihnachtsgeschichte zu konkurieren.
kommt mir bekannt vor … und gefällt mir immer noch.