Die wiedergefundene Zeit
Ich hatte ja keine Ahnung. Absolut keine Ahnung, was da auf mich zukommt.
Seit dem Jahreswechsel 2021 höre ich jeden Abend „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Proust. Jeden verdammten Abend (seit 15 Monaten) zum Einschlafen. Ich schlafe ein dabei. Oder auch nicht. Ich höre fünf Minuten und verschlafe den Rest. Oder ich höre die ganze Podcast-Folge und weiß trotzdem nicht, was eigentlich Sache ist. Ich höre Proust, ganz genauso, wie ich ihn mir hätte vorstellen können, wenn ich mir eine Vorstellung hätte machen sollen. Ein ewig gleichmäßiger Strom des Erzählens. Eine Stimme, die immer weiter spricht. Die nie an ihre Grenzen kommt.
Aber nun bin ich bei Folge 10 der wiedergefunden Zeit. (Von der ich nichts wusste, nichts ahnte.) Und jetzt tobt der erste Weltkrieg in den gleichförmigen Erzählstrang und ich kann ich mehr schlafen, finde nicht mehr in die Nacht. Weil dieser Krieg sich verschmilzt mit dem anderen Krieg, den der am Tag wütet und nichts daran ist verloren. Alle Gewalt ist wiedergefunden. Nimmt das denn niemals ein Ende? Und wer hat jetzt bitte welche Zeit wiedergefunden oder verloren?
Lasst es mich wissen.
Verlieren wir nicht alle in dieser Zeit?
Wieviel Geduld und Nachdruck brauche ich, um an langgeknüpften Fäden weiterzuleben. Stets spaltet sich das Garn. Droht Feuer und Schere.