Deutschland ist ein Entwicklungsland
Deutschland ist ein Entwicklungsland, jedenfalls aus behindertenpolitischer Sicht. Obwohl ich nicht blöd bin und mich selbst als sozialen Mensch betrachte, gelingt es mir – als noch nicht behinderte Frau – nicht immer die Zusammenhänge zu verstehen. Aber über das Bloggen und das Twittern bekomme ich ganz viel mehr mit über die Lebensrealitäten von Behinderten Menschen.
Christiane vom Behindertenparkplatz hat 10 Thesen aufgestellt, was sich in Deutschland verändern müsste, um aus dem Entwicklungslandstatus herauszutreten.
Das Internet vergisst ja sehr wenig und auch deshalb ist es gut, dass es Blogs gibt. Denn ich finde, man muss endlich mal die Taten sprechen lassen und nicht immer nur schwätzen. Deshalb habe ich mir überlegt, ich formuliere einfach mal 10 Maßnahmen, die mir wichtig sind, an denen man objektiv messen kann, ob Deutschland wirklich etwas ändert oder alle immer nur Sonntagsreden halten. Wie weit man mit der Erreichung dieser Ziele gekommen ist, werde ich jedes Jahr nach der re:publica in einem Blogeintrag überprüfen. Entscheidungsträger, Politiker und andere, rufe ich gerne dazu auf, positive Beispiele der Veränderung in den Kommentaren zu hinterlassen.
Wenn es mit der Inklusion behinderter Menschen in allen Lebensbereichen voran gehen soll, sind meiner Ansicht nach folgende Maßnahmen unumgänglich:
1. Ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz mit Schadensersatzanspruch und Anspruch auf Beseitigung mit Klagerecht im Falle eines Verstoßes. Das Gesetz muss alle Lebensbereiche abdecken und private Einrichtungen einschließen. Ziel muss sein, dass kein behinderter Mensch aufgrund seiner Behinderung, einen schlechteren Service bekommt als ein nicht behinderter Mensch. Das schließt z.B. den Anspruch ein, Assistenzhunde überall hin mitnehmen zu dürfen.
2. Ein Masterplan zur schulischen Integration behinderter Kinder mit einem Anspruch auf angemessene Förderung und Assistenz muss her. Derzeit gehen 80 Prozent aller behinderter Kinder auf Sonderschulen. Die meisten behinderten und nicht behinderten Kinder würden davon profitieren, wenn sie gemeinsam zur Schule gehen würden. Kinder, die nicht im Klassenverband unterrichtet werden können, müssen alternative Angebote bekommen.
3. Eine Änderung des Rundfunkstaatsvertrages, die die Fernsehanstalten zu einer vollständigen Untertitelung ihres Programms verpflichtet, wie es bereits in den USA oder Großbritannien der Fall ist, muss her. Zugleich sind Vorgaben zu definieren, was die Audiodiskription und die Übersetzung in Deutsche Gebärdensprache angeht. Die Einhaltung muss durch staatliche Stellen überprüft und ggf. geahndet werden.
4. Das Recht auf selbstbestimmtes Leben muss in Gesetzen festgeschrieben werden. Dafür bedarf es eines Anspruchs auf persönliche Assistenz (z.B. Pflege, Kommunikationshilfe etc.) im Bedarfsfall unabhängig vom persönlichen Einkommen oder des Einkommens der Familie.
5. Die Antragstellung für Hilfsmittel und Assistenz im Berufsleben ist viel zu kompliziert und langwierig. Das führt dazu, dass behinderte Menschen große Hürden haben, überhaupt arbeiten zu gehen. Es findet ein Verschiebebahnhof zwischen Kostenträgern statt und es wird einem ständig signalisiert, dass man besser nicht arbeiten sollte. Es sollte eine zentrale Stelle geschaffen werden, über die sämtliche Anträge laufen. Der Topf, aus dem Assistenz gezahlt wird, darf nicht gedeckelt werden.
6. Deutschland braucht Maßnahmen und Programme, um die bisherige Sozialisation und Ausgrenzung behinderter Menschen zu überwinden. Dafür bedarf es Geld und die Bereitschaft aller, etwas ändern zu wollen. Das geht nicht ohne die Behindertenverbände, die sich mehrheitlich entscheiden müssen, ob sie Freizeitvereine sind und bleiben wollen, oder ob sie nicht doch politische Interessenverbände sind. Dazu gehört dann eine professionelle Kommunikation nach außen und eine klare politische Zielrichtung.
7. Es müssen ordentliche Statistiken geführt werden, was die Inklusion behinderter Menschen angeht. Nur so kann überhaupt analysiert werden, wo die Probleme liegen. Wieviele Sportvereine haben behinderte Mitglieder? Wie viele Bewerber mit Behinderung hat ein Großkonzern? Wieviele stellt er davon ein? Wieviele behinderte Menschen nehmen an staatlich finanzierten Programmen / Veranstaltungen / etc. teil? Erreichen wir die Gruppe überhaupt?
8. Das Strafrecht muss dringend reformiert werden. Kein Strafmaß darf geringer ausfallen, nur weil das Opfer eine Behinderung hat. Stattdessen muss der etwaigen Diskriminierung des Opfers aufgrund der Behinderung stärker Rechnung getragen werden.
9. Der Zugang zu Bildung und Information ist auch für behinderte Menschen ein Grundrecht. Deshalb muss in Gesetzen sichergestellt werden, dass jeder Mensch Informationen in einer für ihn zugänglichen Form (z.B. elektronisch, in Gebärdensprache, Braille etc.) erhält – sowohl im staatlichen als auch im privatwirtschaftlichen Bereich.
10. Die Erfolge sind jährlich zu überprüfen und in einem Bericht der Bundesregierung und aller Landesregierungen dezidiert darzulegen.
Inklusion steht auch nur auf dem Papier. Manchmal sind behinderte Mitmenschen dabei, aber selten mittendrin! Als Mutter zweier behinderter außergewöhnlicher Menschen bin ich oft in der Lage, den Anderen was bieten zu müssen – wir (damit schließe ich C. Und W. ein) sind die Akteure und alle gucken zu. Die gehen dann ihren normalen Gang weiter und wir … ?
Ja, ich weiß. Bei dir lädt diese Gesellschaft besonders viel ab.
Es macht mich traurig, dass das so für dich ist.