Bio-Kapital: Nachwuchs
Das Kind als Bio-Aktie
Kinder des digitalen Zeitalters leiden unter neuartigen Formen der Missachtung.
Eltern betrachten ihr Kind offenbar nicht mehr als Geschenk, sondern als eine Art Bio-Aktie, von der eine gute Performance erwartet wird. Seit die Bergwerke stillgelegt sind und keine Kohle mehr gefördert wird, hat man die kindlichen Gehirne als „Ressource“ und „Humankapital“ entdeckt.
Diese zwanghafte Frühförderung ist ebenso gruselig wie unsinnig.
Der große Altphilologe Bruno Snell sagte sinngemäß zum Thema „mehrsprachige Erziehung“: Meine Kinder sollen erst richtig gut Deutsch lernen. Dann werden sie imstande sein, richtig gut andere Sprachen zu lernen. (Daß diese Einstellung nicht falsch war, bewiesen seine Töchter: Eine wurde Gräzistin, die andere Mathematikerin – und beide sprachen perfekt Englisch.)
Wenn die so populäre mehrsprachige und managerhaft organisierte Früherziehung Sinn hat, warum gibt es dann immer weniger Leute, die sich über andere Themen als ihr engstes Fachgebiet in mehr als einer Sprache fließend unterhalten können? Warum werden in Deutschland mehr Harry-Potter-Bände auf Deutsch als auf Englisch verkauft?
Und dann der Utilitarismus. Man lernt nicht mehr lesen oder Geige spielen, weil das schön ist, sondern weil es die kognitiven Fähigkeiten schult. Zu Hilfe! Ich singe, lese und schreibe nicht, weil ich davon gescheiter werde, sondern weil es schön ist. Nur deshalb. Und wenn mir nachgewiesen würde, daß man vom Lesen und Schreiben frühzeitig altert und das Alzheimer-Risiko erhöht – würde ich auch lesen und schreiben. Ich würde es mir vielleicht eine Woche lang rationieren, aus Angst – aber dann würde ich wieder in die alten Muster fallen und völlig unkontrolliert, einfach nur so, zu ungeregelten Zeiten, lesen und schreiben. Und die Folgeschäden ignorieren.
Ein trauriges Kapitel Wirtschaftsgeschichte. Unser ganzes Leben ist durch und durch von diesem Effizienzgedanken infiziert. Das trägt seltsame Blüten.
So perfekt habe ich meine eigenen Gedanken beim Beobachten junger Mütter in der Öffentlichkeit noch nie geschrieben gesehen….wenn ich mal junge Väter sah, haben die fast immer eine intensivere Hinwendung zum Kind gehabt…
Diese Abhängigkeitsapparaturen allüberall können einem schon Gänsehaut machen…
Gruß von Sonja
Ich halte auch nichts von den ganzen Frühförderkursen und den Druck und die Erwartungen, die manchen Kindern auferlegt werden. Genauso halte ich aber auch nichts davon, dieses Phänomen zu generalisieren. Ich kenne viele Eltern, die die Erziehung, wie wir sie kennengelernt haben einfach fortsetzen, kurzum: Hopfen und Malz sind noch nicht verloren 😉