Drecksarbeit
Es gab sie schon immer, die Arbeit, die die machen mussten, die keine Wahl hatten.
Virginia Woolf oder ihre Schwester Vanessa Bell zum Beispiel hatten immer mehrere Angestellte. Dienstboten oder Dienstmädchen wie sie früher hießen. Diese Arbeitsverhältnisse waren nicht gerade spannungsfrei und die Tagebücher von Virginia Woolf sind voll von Geschichten, Klagen oder gemeinen Bemerkungen über sie.
Oder vom endlosen Suchen nach Personal für die Kinderbetreuung ihrer Schwester.
Hier ist ein Artikel dazu, der den Finger in die Wunde legt.
Juli 25th, 2015 in
Fundstücke, Gedanken, Leben | tags: Arbeit, Armut, Drecksarbeit, Gesellschaft, Virginia Woolf, Wirtschaft
Danke für den Link! Ein wichtiger Artikel. Mir ist dieser Aspekt an Virginia Woolfs Leben schon immer übel aufgestoßen.
Und es erinnert mich an ein Gespräch, das ich vor einiger Zeit hatte. Es ging um Dienstboten. Die Frau, mit der ich darüber sprach, sagte zu mir, es habe ja eine Zeit gegeben, da seien Dienstboten etwas ganz selbstverständliches gewesen, eigentlich habe jeder Dienstboten gehabt. Darauf antwortete ich, jeder außer den Dienstboten. Ihr „jeder“ meinte eben nicht jeden, es schloss die Dienstboten aus. Und das heute! Ich halte das nicht für einen Einzelfall. Wir stecken immer noch tief im Klassendenken fest.
Du sagst es: wir stecken da ganz schön im alten Dreck fest und jetzt kommt noch neuer dazu.
Ich hab mir die Leseprobe des Buchs von Alison Light heruntergeladen, um zu sehen, ob es für mich lesbar ist, da es leider keine deutsche Übersetzung gibt.
Oft schon habe ich mich mit Leuten aussichtslos herumgestritten auf meine Bemerkung, daß es unzumutbar und würdelos ist, wenn ich mir meinen Dreck wegputzen lasse usw – da kommt dann als erstes immer die „Argumentation“, daß ich damit ja Hundertausenden den Arbeitsplatz wegnähme und ich wäre ganz schön überheblich, von oben herab zu befinden, was minderwertige Arbeit sei…und so geht das dann weiter und weiter und irgendwann steh ich dann da als eine, die den Frauen ihre Arbeit wegnehmen will…einer sagte mal: „Meine Putzfrau lacht mich doch aus, die hat einen guten Stundenlohn und putzt schnell mal durch die Wohnung, die braucht sich nicht mit einer eigenen Firma herumzuärgern und wenn sie einige Putzstellen hat, dann kommt da ganz schön Geld zusammen, dann haut sie ab nach den Malediven, das kann ich mir nicht leisten!“ Ich will nur sagen, dieses Thema des Dienstpersonals ist hochexplosiv und mehr denn je unlösbar verstrickt mit all unseren zivilisatorischen Unabänderlichkeiten!
Das ist auch nicht so einfach zu sagen, was genau eine minderwertige Arbeit ist.
In den 70er und 80er Jahren zum Beispiel, hat eine meine nahen Angehörigen (ich verschleierte das jetzt mal etwas ungenügend, aber ausreichend für die Suchmaschine) tatsächlich relativ gut von Putzarbeiten leben können. Allerdings ohne Sozialversicherungen, da es die geringfügige Beschäftigung nicht gab.
Außerdem war ihre Reputation und ihr Ansehen sehr hoch.
Beides Lohn und Ansehen waren nicht vergleichbar mit heute.
Da ich früh in meinem Leben auch in der Chemieindustrie gearbeitet habe, bleibt bei mir auch immer die gesundheitsschädliche Arbeit als eine Drecksarbeit im Kopf.
Die wurde generell immer besser bezahlt, aber Alternativen gab es oft auch keine.
Heute haben wir industrielle Drecksarbeiten oft ausgelagert in andere Länder.
Die strukturell problematische Drecksarbeit findet heute wahrscheinlich im privaten Pflegebereich statt.
Aber ehrlich gesagt: Ich möchte damit nicht auf jemanden herunter schauen oder bewerten. Wenn wir uns umschauen werden wir merken, dass jede von uns Drecksarbeiten direkt oder indirekt erledigen lässt.
Es ist einfach wichtig, die Augen davor nicht zu verschlossen.
Heute ist jemand, der Putzjobs macht, doch kein „Dienstbote“ mehr im Sinne früherer Zeiten! Es gibt Agenturen, die voll sozialversichterte Reinigungskräfte vermitteln – und neuerdings sogar „hippe“ StartUps wie Clean Agents oder Homejoy.
Haushaltsnahe Dienstleistungen sind m.E. sinnvoll, wenn die Auftraggeber in der Zeit, in der sie diese Arbeiten selber machen würden, ein Mehrfaches der Kosten verdienen könnten. Und ob das nun Renovierungsarbeiten, Entrümpelungen, Gartenarbeiten oder Putzjobs sind, macht für mich keinen wesentlichen Unterschied. Und all die Lieferdienste? Ist das besser oder schlechter als putzen? Dass kann doch eigentlich nur die Person für sich entscheiden, die den Job annimt.
Richtige Drecksarbeit, Klo-Verstopfung beseitigen, die Kanalisation in Schuss halten, Mülltonnen leeren – wird praktisch nur von Männern gemacht und niemand diskutiert, ob das vielleicht eine üble Arbeit ist, die eigentlich niemand machen sollte.
Kann es sein, dass Putzen nur deshalb in so eine Debatte gerät, weil noch immer die Meinung vorherrscht, Frauen sollten das selbstverständlich „einfach so“ unbezahlt machen? Sei es für die Familie und natürlich erst recht für sich selbst?
Wir haben jetzt natürlich das Wort Drecksarbeit nicht definiert. Das ist auch gar nicht mein Anliegen. Mein Anliegen besteht eher in der Reflexion der Verhältnisse und meines Verhaltens.
Für mich sind Drecksarbeiten, Arbeiten die wenig wertgeschätzt werden, die Gesundheit ruinieren und keine soziale Absicherung bieten.
In dieser Hinsicht fallen zum Beispiel einige Reinigungs- oder Pflegearbeitsverträge ganz eindeutig darunter. Im öffentlichen Dienst sind z.B. fast alle Reinigungsarbeiten ausgelagert und voor Einführung des Mindestlohn bekamen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leicht unter 6 Euro brutto.
Da ist nichts mit hippen Agenturen usw.
Die Anzahl der männlichen Reinigungskräfte ist auch deutlich gestiegen. Das liegt daran, dass der Markt der niedrig bezahlten Beschäftigungen nach unten drückt.
Aber wie gesagt: es gibt nicht nur die Drecksarbeiten hier bei uns. Unsere Lebensweise führt dazu, dass wir die Drecksarbeiten weltweit verteilen. Siehe Elektroschrottentsorgung, Blumenindustrie, Altkleidervermarktung oder Geflügelresteverwertung.
Da kann immer weiter aufgezählt werden.