Tage der deutschsprachigen Literatur 1. Tag
Es ist heiß in Klagenfurt. Sehr heiß. Ich bin froh, dass ich die Tage nicht im Büro verbringen muss. Ehrlich. Aber das soll nicht heißen, dass das der einzige Grund ist, warum es mir hier gefällt. Es wieder etwas leichter in den Theatersaal zu kommen, jedenfalls war das heute so. Dort ist eine besonders intensive Athmosphäre. Heute Nachmittag hatte ich sogar einen Platz am Rand, der wesentlich bequemer war, als so zusammengequetscht in der Mitte.
Zu den Lesungen kann ich sagen, dass ich nur einen Favoriten hatte. Aber am Besten, ich fange der Reihe nach an.
Katerina Poladjan startete mit dem Text „Es ist weit bis Marseille“
Sie liest sehr gut und zwischendurch erfahre ich, dass sie auch eine Schauspielerin ist. Der Geschichte selbst startet mit einer Bettszene bzw. mit einer „Sie verlässt den schlafenden Mann“-Szene. Nun ja. Dann kommen Tod, Trauer, ein Sohn, ein Liebhaber, der ins Gebirge geht. Wenn ich das so aufschreibe, werde ich dem Text nicht gerecht, aber meinem Eindruck.
Die Jury schließt sich dieser Meinung an. Hubert Winkels hält es für einen moralisch kleinlichen Text, der mit Metaphorik aufgeladen ist. Hildegard Keller meint, die Familiengeschichte reicht nicht aus, um den Text zusammenzuhalten. Stefan Gmünder sieht eine stringente Geschichte, die in Wahnsinn und Tod endet, allerdings sei sie klischeehaftet. Juri Steiner liest die Geschichte französisch und sieht in ihr den Kontrollverlust thematisiert, den Tod, Wahnsinn und Liebe mit sich bringen. Sandra Kegel fasziniert die Poetik der Begegnung und findet die Geschichte gut, der Text sei allerdings hinter seinen Möglichkeiten zurückgeblieben.
Meike Fessmann hat eingeladen und daher preist sie den formschönen, stimmungsstarken Text an.
Nora Gamringer „Recherche“
Das ist der Text, der bei Publikum, Jury und mir am Besten ankam. (obwohl ich das vielleicht bei der letzten Lesung von heute noch mal revidieren muss)
Den Text kann ich nicht nacherzählen und auch nicht zusammenfassen. Eine muss ihn gelesen (aber am Besten gehört haben). Eine unglaubliche Performance. Die an einigen Stellen für Gelächter sorgte, obwohl nach und nach der rabenschwarze Hintergrund der Geschichte zu Tage trat.
Sandra Kegel: jemand beobachtet und wird selbst beobachtet, meisterlich gemacht.
Hubert Winkels: tieftraurige Geschichte mit gekonnter Freisetzung literarischer Möglichkeiten dazu Literatur, die mit Literatur spielt, alle sind schuldig und herzlos
Juri Steiner: das Haus steht in der Geschichte für das Universum, er empfiehlt die Autorin dem CERN als Hausautorin
Stefan Gmünder: reichhaltiger, genialer Plot, ein Text über das Schreiben mit einem unheimlichen Monster im Hintergrund.
Hildegard Keller: raffiniert und abgründiges Spiel mit den Stimmen
Klaus Kastberger: Text wurde für ein mediales Ereignis produziert
Saskia Hennig von Lange „Hierbleiben“
Eine Paargeschichte bzw. ein vor der Schwangerschaft seiner Partnerin fliehender Mensch am Steuer eines Umzugslastwagens.
Eingeladen von Sandra Kegel, der gefällt, wie die Sprache dem Denken entspricht und sich immer mehr verästelt. Hubert Winkels erinnert sich an Kraftwerk und den Song „Autobahn“ und meint der Text sein nicht von dieser Welt und tendiert zur Blutleere. Meike Feßmann sieht viele Symbole, die ihr einzeln zwar gefallen, im Text aber zu unplausibel sind.
Stefan Gmünder erklãrt, dass sich im Text ein Mann versucht zu Tode zu denken. Während Klaus Kastberger Schwierigkeiten mit der Kronstruiertheit des Textes hat, den er als radikal bezeichnet.
Hildegard Keller hat „so what“ zu dem Schwangerschaftsfeind gedacht und Juri Steiner stellt die berechtigte Frage, ob der Mann ein Mann ist.
Sven Recker „BROT, BROT, BROT“
Eine Anstalts- oder Therapiegeschichte in Stimmen geschrieben, die nacheinander ihren Raum bekommen. Mich langweilt das ein klein bisschen. Klinik ist schwieriges Terrain für Metaphern.
Die Juroren sehen das so:
Sandra Kegel sieht eine Staatsallegorie im Text. Ein Staat mit starren Regeln, ihr ist die Szenerie zu aufgeladen. Hubert Winkels greift die Bilder raus, die nach seiner Ansicht gar nicht gehen. Meike Fessmann, die eingeladen hat, erläutert, dass die Figuren als Personen nicht mehr zu erkennen sind. Das gefällt ihr offensichtlich als einzige. Stefan Gmünder sieht eine Versuchsanordnung, die aber zu schablonenhaft ausgefallen ist. Hildegard Keller bemängelt, dass der freie Bewusstseinsstorm nicht rüber kommt, während Klaus Kastberger sagt dass ihn der Text kalt lässt. Sandra Kegel drückt es geringfügig anders aus, sie meint die Figuren erwecken nicht unser Interesse. Nur Juri Steiner ist fasziniert von den Schablonen und findet den Text gar nicht schlecht.
Bis dahin wunderte ich mich schon über meine übereinstimmende Meinung mit den Juroren. Ich kann mich erinnern, dass ich sonst immer darunter litt, dass den Juroren, immer genau nicht die Texte gefallen wollten, die mir gefielen. Aber dann kam der letzte Text des heutigen Tages.
Valeri Fritsch „Das Bein“ eingeladen von Klaus Kastberger. Ein Vater-Sohn-Geschichte, die vom verlorenen Bein des Vaters erzählt, der früher ein Tänzer war. Aus meiner Sicht eine schwülstige Geschichte, die von Anfang bis Ende rührselig und ein bisschen tütelig wirkte. Aber mit dieser Meinung war ich offensichtlich allein. Vielleicht liegt das daran, dass ich mit Kastrationssymbolik nicht umgehen kann. Wer weiß. Dem Publikum im Saal hat sie gefallen und die Juroren sagten folgendes dazu:
Meike Feßmann schwärmt von der überraschenden Einfühlbarkeit. Sandra Kegel sieht eine schöne Symbolik und einen gelungenen Sommer-Winder-Zyklus. Hildegard Keller begeistert, dass der Text die Zeit auf ästhetische Weise dehnt. Hubert Winkels bringt die Kastration ins Spiel, ihm ist die Geschichte zu eng und der Tänzer zu dick aufgetragen (wenigstens einer auf meiner Seite). Juri Steiner spürt das Leid und Klaus Kastberger hält den Text für den literarischsten an diesem Tag.
Ich sehe gerade, dass Valerie Fritsch den Wintersgarten geschrieben hat.
[…] Der erste Tag bei Claudia Kilian […]
Bericht und Link heute bei mir verlinkt!
Großes DANKE!