Ziviler Tod
Im Spiegel lese ich, dass Daimler seine Beschäftigtendaten viermal im Jahr mit den Terrorverdachtslisten abgleichen wird. Auch die von Bewerbern.
Mir fällt dabei der eindringliche Artikel aus der Personalratszeitschrift ein.
Leider ist der Artikel nicht online. Es ist ziemlich schlimm, wenn ein fehlerhafter Abgleich passiert, denn der betroffene Mensch ist sofort aus der Zivilgesellschaft rauskatapultiert. Von jetzt auf gleich. Kein Gehalt mehr, kein Zugriff auf sein Konto, niemand darf ihn offiziell mit Geld unterstützen, sie oder er darf ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachgehen usw.
Am schlimmsten: es gibt so gut wie keine Rechtsmittel dagegen.
Sie nennen es nicht umsonst: den zivilen Tod.
(Aber wohl gemerkt: es handelt sich um eine Verdachtsliste. Nicht um eine Terrorliste. Und kein Mensch weiß, wie die zustande kommt.)
Der Abgleich passiert bei uns in der Firma bei Bewerbern auch standardmässig. Das wird von den USA gefordert, wenn man mit Firmen in der USA Geschäfte machen möchte. Was dabei passiert, ist daß selbst einfache deutsche Namen mit einer deutlich über 50% Übereinstimmung eine Warnung verursachen. Zum Glück kann dann dem System gesagt werden, daß diese Übereinstimmung, nichts mit dem Namen auf der Terrorliste zu tun hat, es ist eben nur eine Warnmeldung. Wie das System bei Daimler funktioniert, weiß ich nicht, jedenfalls vermute ich, daß es ähnlich fehleranfällig ist, wie das, das bei uns benutzt wird.
In dem Moment in dem tatsächlich ein Treffer an die Behörden gemeldet wird, setzt das ein, was sie den zivilen Tod nennen. Das heißt, die Person kann ihre Miete nicht mehr zahlen, keinen Unterhalt, die Bank darf keinen Zugriff auf das Vermögen oder das Konto mehr möglich machen. Nichts geht mehr.
Und überall wird der Verdacht bekannt und weitergegeben.
Dass der zivile Tod dann den sozialen Tod beinhaltet, muss ich wohl nicht erwähnen.
Das ist so gruselig, das gehört verboten.
[…] Ich weiß nicht, wie es Euch geht: Die Überwachung lastet schwer auf meinem Gemüt. Wie der Vogel Strauß möchte ich manchmal meinen Kopf in den Sand stecken bzw. meine Augen schließen; mich offline davon machen, um mich von ihrem Gewicht zu befreien. Wo soll das hinführen? Eine Antwort kenne ich nicht darauf, nur eine Farbe, die die Zukunft färbt: schwarz. Wie kann ich mich schützen? Ein, zwei, vielleicht auch drei Antworten fallen mir dazu ein – und spätestens an dieser Stelle überfällt mich die Resignation. Ich schaffe es einfach nicht, mich richtig zu schützen. Was für ein Glück, dass ich nicht im Fokus von irgendwelchen geheimen, gemeinen Diensten stehe! Hilflos wäre ich ihnen ausgeliefert, flüstert mir ein resigniertes inneres Stimmchen zu. So eine Übermacht. So ein Aufrüsten gegen die Bevölkerung! Aber warum dann diese relative Ruhe überall? Staatlich organisierte Massenüberwachung und Demokratie schließen sich gegenseitig aus. Dennoch gibt es keinen Aufstand, keine Aufruhr – höchstens ein paar leise Betroffenheitsbekenntnisse. Vielleicht glauben wir alle zu viel an die Zauberkraft der Demokratie. Doch Demokratie gestaltet sich nicht von selbst. Sie besitzt keine Selbstheilungskräfte. Sie bedarf bestimmter Rahmenbedingungen und Voraussetzungen, sonst funktioniert sie nicht. Macht muss immer kontrolliert werden, damit sie verantwortlich bleibt. Das ist ein Grundsatz, denn unkontrollierte Macht endet in Unterdrückung und Diktatur. In Unfreiheit also. Durch Massenüberwachung wird ein Machtpotential geschaffen, das unermesslich ist. Wenn einer alles über mich weiß und dann noch die Möglichkeit besitzt die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu gestalten, bin ich ihm mit Haut und Haaren ausgeliefert. Mir bleibt kein Raum mehr und keine Luft zum Atmen, weil er mir alles nehmen kann. Der zivile Tod ist nur eine denkbare Abartigkeit, die jetzt schon möglich ist. […]