Sexuelle Gewalt
Hab diesen Text heute morgen unter Schmerzen und mit dem Handy verfasst. Die körperlichen Schmerzen unabhängig, die seelischen Schmerzen abhängig von den Tweets, die die sexuelle Gewalt dokumentierten oder wie eins auch immer dazu sagen soll.
Und es tut mir so schrecklich leid! Dass Gewalt passiert ist schlimm genug. Genau wie Verbrechen. Aber dass sie getragen werden ist das Problem. Dass diese Gesellschaft sie trägt, anstatt sie zu stigmatisieren. Denn das wäre die richtige Reaktion.
Ich habe mich in der Sammelmappe immer zurück gehalten mit persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen, aber ich habe mir vorgenommen, dass ich das jetzt ändern werde. Nicht mit einem Mal, aber Schritt für Schritt.
Als ich heute morgen die Tweets las, war ich so wütend und hab darüber nachgedacht, wie oft mir ähnlich Schlimmes widerfahren ist. Unzählige Male zwischen elf und dreißig Jahren. Unzählige Male.
Von der Zeit vorher spreche ich gar nicht erst, das ist ein anderes Kapitel.
Und jetzt kann ich noch anfügen: vielleicht unzählige Male, weil ich das typische Opfer war. Aber das ist ja eine blödsinnige Argumentation.
Egal: ich hab den Glauben an die Männer, an die Menschen nicht verloren. Nie.
Weil ich nie glauben wollte, dass dieses Verhalten das Attribut menschlich verdient.
Wahre Männer sind menschlich. Sie geben dir keine Schuld, wenn du beschmutzt und verletzt an Seele und Körper am Boden liegst.
Wahre Männer und Frauen und was es sonst noch für Geschlechter gibt, reichen dir die Hand, nehmen dich in den Arm und trocknen deine Tränen, wenn dir Gewalt geschehen ist.
Wahre Menschen nehmen Anteil an deinem Unglück.
Die Anheizer – ob weiblich oder männlich – die auf Twitter, in der Talkshow oder in deinem Umfeld dir den Schmutz unter die Nase reiben, sind die heimlichen und offenen Mittäter. Ohne sie würde das System nicht funktionieren.
Anne Roth meinte, vielleicht sei es an der Zeit eine Kampange mit den härteren Vorfällen zu starten. Das wäre es sicherlich. Aber die Frage bleibt, ob der persönliche Einsatz wirklich erfolgen kann und soll.
Was würde werden aus einer geballten Ladung Ehrlichkeit?
„Unzählige Male zwischen elf und dreißig Jahren. Unzählige Male.“
mir ist so etwas in der auf twitter beschrieben form nie passiert. nicht einmal.
und ich bin eine ganz normale frau, einige behaupten sogar, ich wäre attraktiv.
wie kann das sein?
Es würde tot gequatscht.
Nein, keine gute Idee. Sagt die Überlegung. Zuviel Risiko, das nicht kalkuliert werden kann. Außerdem gibt es schon entsprechende Kampangen.
Mir wird immer klarer, wie sinnlos es ist mit Vernunft und Verstand an diese Themen heran gehen zu wollen. Es geht um Macht und Gewalt. Und darum, dass das einigen Menschen genau so gefällt wie es ist.
Mit diesen Menschen zu diskutieren, heißt sie und ihre Ansichten aufzuwerten.
Menschenwürde ist aber – für mich – nicht verhandelbar.
Liebe Claudia, auf anderer Ebene, aber doch versuche ich seit geraumer Zeit, ungeschönt, drastisch, deutlich zu „reden“, zu diskutieren, zu zeigen, was Gewalt macht.
Es bringt nicht viel – abgesehen von wenigen, verstehenden Kontakten. Im Gegenteil: du wirst suspekt, pathologisiert, angegriffen, argwöhnisch beäugt und letzten Endes – für mich besonders schockierend – nicht selten mit den Tätern in einen Topf geworfen.
Ich war letztes Jahr noch davon überzeugt, daß Öffentlichkeit her muß, sie hilft ja auch, Gewalt sichtbar zu machen. Aber sie verändert nichts, nicht wirklich.
Es ist gut, die Finger davon zu lassen.
@Clara: was hat Attraktivität mit Belästigung zu tun? Irgendwo in Deutschland liegt eine Frau seit Jahren im Koma, die wurde letztes Jahr schwanger. Jetzt ist die Tür zu ihrem Krankenzimmer abgeschlossen. Ich nehme nicht an, dass im Koma liegend die Attraktivität der von Dornröschen entspricht.
Ach ja: schön, dass es dir noch nicht passiert ist. Es freut mich für jeden Menschen, die ohne Gewalterfahrung durchs Leben kommt.
@Fritzie: da sprichst du etwas wichtiges an. Don’t touch my Soul with dirty hands – and minds – will ich noch hinzusetzen. Das ist das was ich mir erhalten habe und weiterhin erhalten will.
Attraktivität versus „Kippe auf deiner Muschi ausdrücken – Schwanz zeigen – vier Typen, die übelst beleidigen“ und ich antworte auch noch ernsthaft auf diesen Kommentar.
Da seht ihr, was mein Handycap ist: ich erkenne Bösartigkeit nicht sofort.
das hat mit bösartigkeit gar nichts zu tun, im gegenteil. deine annahme, ich wäre bösartig, ist ihrerseits als eine bösartige unterstellung interpretierbar. da mir bösartigkeit fern liegt, kannst mir unterstellen, was immer du magst.
zum thema:
offenbar lebe ich in einer anderen welt als du (ich habe bisher in 4 deutschen großstädten gelebt). und da würde es mich schon interessieren, warum dir so anderes passiert als mir. das muss doch einen grund haben. lebst du in anderen gegenden? oder ich? es kann ja kaum möglich sein, dass die gewalttätigen männer sich nur dort aufhalten, wo ich nicht bin. deine welt scheint voller gewalt und belästigung zu sein und meine ist es nicht. ich finde, das ist ein grund zum nachdenken.
allerdings ist der fall der frau im koma sicher nicht dazu geeignet, irgend etwas damit zu belegen.
Doch, den Zusammenhang zwischen Attraktivität und einer Gewalttat herzustellen ist ziemlich fies.
Noch mal: erfreue dich, dass es dir gut ergangen ist. Ich werde dir hier die Welt nicht erklären, denn ich kann nicht wissen wie du zu deiner Sicht gekommen bist.
Es gibt gute Bücher zum Thema und einige gute Untersuchungen.
Aber wer nicht wissen will, verbreitet eben Mutmaßungen. Das haben wir beim #aufschrei gelernt.
Eine der vielen Folgen von sexueller Gewalt ist jene, daß du ab da in einer Art Parallelwelt zu leben scheinst. Es ist nicht so, daß man „bis ans Lebensende“ leidet, so empfinde ich das nicht. Aber du denkst, fühlst, lebst in einer Welt mit Erfahrungen, die nur wenige teilen, geschweige denn auch nur im Ansatz begreifen können.
Clara: allein deine Bemerkung, du wärest eine der Glücklichen, die davongekommen ist, „obwohl“ du attraktiv bist, zeigt, daß du wenig Ahnung hast vom Thema Gewalt. Das ist keine Schande.
Sich dumm stellen allerdings schon.
So wenige sind das gar nicht, die mit Gewalterfahrungen zurecht kommen müssen. Aber ich will das hier nicht weiter ausbreiten, dazu ist dieser Ort nicht geschützt genug.
Aber wichtig ist, dass es geschützte Orte gibt und dass du Zeit und Möglichkeiten – auch Menschen – findest, an damit du dich erholen kannst.
Das Leben in den Parallelwelten scheint zu meiner Persönlichkeit dazu zu gehören. Jedenfalls ist es stark damit verbunden.
Fritzie: wo ist denn dein Blog?
Den habe ich stillgelegt, um mich zu schützen. Je exponierter ich aktiv bin (das reize ich gerade sehr aus) desto wichtiger ist mir die Grenzziehung zwischen meinen „Außenaktivitäten“ und dem Bereich, den ich schützen will. Ich lerne gerade, Grenzen wahrzunehmen und zu setzen. Das ist ein gutes Gefühl. Manchmal auch nervenaufreibend. 🙂