Nichtwähler sind auch Menschen
In der Sammelmappe habe ich schon öfters mal eine Lanze für Nichtwählerinnen und Nichtwähler gebrochen (ich hoffe, das ist ein gewaltfreie Bild und keine Kriegsmetapher). Irgendwie predigen es die die Medien immer wieder, gebetsmühlenartig wird wiederholt, dass das Nichtwählen eine verwerfliche Option sei. Eines demokratischen Menschens nicht würdig. Das sehe ich anders, als zum Beispiel der Bembel in seinem Beitrag zu den Kommunalwahlen in Hessen.
Also ehrlich gesagt, ich halte es für richtig, dass es die Option des Nichtwählens gibt. Wahlpflicht halte ich nicht für eine gute Idee in einer Demokratie, obwohl das andere Länder anders halten.
Selbstverständlich sind Wahlen ein wichtiges demokratisches Instrument, aber vielleicht ist es auch kein Zufall, dass sich immer mehr Menschen in diesem Irrgarten des Kapitalismus verirren und dass sie das Gefühl haben, dass sie ständig vor einen Karren gespannt werden und erst im Nachhinein erfahren, welches Ziel und welche Motivation dieser Karren verfolgt.
Die Gruppe der NichtwählerInnen, die Du meinst, spricht das reflektierte und bewußte Nichtwählen an, wogegen natürlich nix zu sagen ist (wobei ich in so einem Fall das demonstrative Ungültigwählen propagiere)
Was ich allerdings nicht gut finde, das sind die NichtwählerInnen aus Faulheit, Bequemlichkeit und nicht reflektiertem Desinteresse an Politik (im Allgemeinen und Speziellen)
wir gingen bisher immer wählen, aber haben grosses verständnis für die nichtwählerinnen und zwar aus welchen gründen auch immer, sie nicht wählen.
es gibt auch noch ein leben ausserhalb der mächtigen und des staates.
Ich stimme Bembel zu. Ungültig machen ist für mich ebenfalls die Wahl. Das ist für mich ein Zeichen meines Verdrusses, während aus Faulheit gar nicht zu gehen… Das ist einfach Verschwendung.
Alles Liebe karin
@Bembel und @Karin:
Ich sehe das anders. Wer von uns, kann darüber entscheiden zu sagen, dass andere Menschen aus Faulheit nicht gehen? Tut mir leid, aber das erinnert mich doch sehr an die Sprüche der Medien. Die wissen immer, welche Menschen faul und bequem sind. Aber mal ganz ehrlich: Kein gesunder und erwachsener Mensch ist von Natur aus faul und bequem. Menschen haben Ziele, Träume und Erwartungen – aber wenn sie in der Gesellschaft immer nur mit Konsum bzw. Konsumverweigerung – was zum selben Ergebnis führt – konfrontiert sind, welche Wege gibt es dann noch für sie? Den Weg des Auslassens und des Nichtmitmachens. @rittiner & gomez drücken das deutlich aus: Ja, es gibt ein persönliches Leben ohne Staat und ohne die Mächtigen, die uns die Luft zum Atmen nehmen. Das ist unser Innenleben. Das gehört uns. Aber genau das akzeptieren die Mächtigen nicht und deshalb erfinden sie Kategorien wie faul und bequem oder die Hängematte.
Aber in der nicht vorhandenen Hängematte der Nichtwähler liegen auch Menschen.
Zwar glaube ich, daß Demokratie auf Dauer ohne Wahlen (bzw. ohne Wähler, was aufs Gleiche herauskommt) nicht existieren kann. Aber ich verstehe gut, wenn Leute nicht wählen gehen. Mir selbst ist nicht immer unumschränkt wohl beim Ankreuzen. Aber meine Meinung, Wählen sei extrem wichtig, anderen aufzudrücken bzw. sie zu beschimpfen, wenn sie nicht wählen, wäre wirklich undemokratisch.
Das stimmt. Ich denke, es wäre wichtiger sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Toleranz und die Menschlichkeit. Das ist gar nicht so einfach, wie es sich anhört. Es ist eine Aufgabe, aber ohne Toleranz und Menschlichkeit wird sich die Welt und damit die Menschheit immer nur in eine Richtung entwickeln. In die von Gewalt, Macht und Erbarmungslosigkeit.
Nun ja, ich urteile nicht nach dem, was „uns“ die Medien vorsetzen, wobei selbst da Menschen freimütig erklären, daß sie einfach zu faul und bequem waren, wählen zu gehen (z.B. Straßenumfrage des HR zur Kommunalwahl) oder über mir unbekannte Motivationen. Ich urteile aus der Erfahrung heraus, aus dem Freundes- und Bekanntenkreis, KollegInnen, Nachbarschaft, familiäres Umfeld, das sind nicht wenige … und da gibt es leider sehr viele (selbst in einem vergleichsweise politisierten Umfeld), die wirklich nur aus Faulheit oder Bequemlichkeit nicht wählen gehen, obwohl sie sogar wüßten, wen sie wählen würden oder wollten und hinterher sagen, ja eigentlich wollte ich ja wählen gehen …
Als kleines „Schmankerl“ sei ein – zugegeben extremes Beispiel – eines aktiven (Kommunal-)Wahlkämpfers aus dem Bekanntenkreis genannt, der selbst sogar wochenlang aktiv Wahlkampf gemacht hat, aber am Wahltag nicht zur Wahl ging, weil er erst ausschlafen wollte, dann brunchen und hinterher der Kaffee und Kuchen so gemütlich waren, und er dachte, die Wahl würde auch ohne seine Stimme gut gehen, schließlich hatte er ja genug Wahlkampf gemacht …
Dass du nicht danach urteilst, was uns die Medien vorsetzen ist mir bekannt.
Trotzdem: Das Faul-und-Bequem-Urteil lasse ich nicht gelten. Selbst wenn Menschen von sich selbst sagen, sie seien faul und bequem, muss das noch lange nicht stimmen. Das habe ich oben erläutert. Selbst die Sklaven früher, sagten in der Mehrzahl, dass sie nicht frei sein wollen, weil sie gar nicht für sich sorgen könnten – deshalb bin ich da vorsichtig. Für mich steht fest, dass gesunde erwachsene Menschen am Leben teilhaben möchten, dass die Verantwortung tragen wollen, dass sie ihre Träume haben, die sie durchs Leben tragen.
Aber woher kommt dann diese Resignation – so kann mensch Faulheit und Bequemlichkeit auch nennen?
Menschen möchten etwas entscheiden und deshalb ist das Schmankerl gar nicht so untypisch: Menschen möchten keine Zahl sein. Sie möchten etwas bewirken und deshalb ist das Verhalten deines Bekannten für mich psychologisch nachvollziehbar. Er ist auf mehr als seine Stimme stolz. Auf seine Energie und seine Überzeugungskraft, die ist ihm wichtiger, als sein Kreuzchen. Das kann ich nachvollziehen – kein Mensch ist nur Vernunft. Jede und jeder hat auch etwas irrationales in sich.
Zum Glück, denke ich mir. Zum Glück.