Make Love Not War
Die ersten und einzigen Panzer, die ich in meinem Leben auf der Straße fahren sah, fuhren im September 1977 auf den Straßen von Bonn, sie konnten Hanns Martin Schleyer nicht das Leben retten. Nicht, dass irgendwer zu diesem Zeitpunkt gedacht hätte, dass ihm irgendwas das Leben retten könnte. Selbst uns unpolitischen Jugendlichen auf der Klassenfahrt war klar: Jetzt steht Drohung gegen Drohung, da kommt er nicht lebendig raus. Nur die Art und Weise hat uns doch etwas geschockt. Eine Armee lässt die Toten nicht im Kofferraum liegen. (Was wusste ich damals schon von einer Armee.)
In meinem Herzen war ich Pazifistin; Waffen bringen immer nur Leid und Gewalt in das Leben der Menschen und Gewalt kann nur sinnlos enden. Auf fruchtbaren Boden fiel das Motto: Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin! Das war das Motto, das alles auf den Kopf stellte. Stell dir vor, du kümmerst dich nicht weiter um das, was der Staat von dir verlangt und was er selbst nicht zu geben bereit ist. Stell dir vor, die Gewalt wird eingestellt. Stell dir vor, Macht, Gewalt und Hass i n t e r e s i e r e n niemanden mehr. Stell dir vor, die Menschen wollen leben und lieben.
MLNW: Make Love Not War stand auf meinen Jeans, in meinen Heften, auf dem Mäppchen und oft auf meinen Händen. In runden Buchstaben ineinander geschlungen. Make Love Not War und das Peace-Zeichen dazu. Mich bekennen war wichtig. Bekennen und behaupten. Neue Ideen waren das für mein Umfeld, aber man ließ die Träumerin träumen, weil die Träumerin so leise war und ihre Kreise nicht störte. Was weiß ein Mädchen schon vom Krieg? Was weiß ein Mädchen von Gewalt und Hass. Es ist lange her, als ich die Panzer in Bonn fahren sah.
Am Abend sah ich den Lehrer auf dem Flur am Boden liegen. Ertappt sprang er hektisch auf: Ich wollte nur sehen, ob sie Licht anhaben, rechtfertigte er sich. Wir und unsere Eltern hatten vor der Reise unterschrieben, dass wir auf Geschlechtsverkehr während der Klassenfahrt verzichten – Make Love Not War war nur in der Theorie eine Option.
Der Lehrer ist doch trotzdem immer in der Verantwortung, murmelte der Lehrer vor sich hin, während er sich wieder nach dem Lichtstrahl unter der Tür umsah. Mir tat er leid, denn ich wusste: die beiden hinter der Tür, die hält kein Gelübde der Welt davon ab, miteinander zu schlafen. Die einzige und letzte Gelegenheit würden sie sich ganz sicher nicht entgehen lassen.
Sie wird dir Pille nicht vergessen haben, tröstete ich ihn. Ihr Vater schlägt sie tot – oder versucht es zumindest, wenn sie schwanger wird.
Sie wird ihre Pille ganz sicher nicht vergessen haben, sie liebt ihren Vater und will ihm keine Aufregung verursachen.
Ja, beruhigte sich der Lehrer. Dann besann er sich und schlug mit der Faust an die Tür.