Ich bedauere nichts
Brigitte Reimann
Ich bedaure nichts
Tagebücher 1955-1963
Anna Seghers sprach mich an. Sie zog mich an den Haaren und fragte mit ihrer tiefen rauben Mainzer Stimme:“Wer bist du, Mädchen mit dem Pferdeschwanz? Du bist mir schon öfters aufgefallen.“ St. 308
Ja, wer war die Frau mit dem Pferdeschwanz? 1933 in der Nähe von Magdeburg geboren, dann früh erfolgreich veröffentlicht.
In ihren Tagebüchern versucht sie dieser Person selbst auf die Spur zu kommen und hält alles fest. Die Verliebtheiten, die Flirts, den Alkohol, das Schreiben, die Diskussionen mit den Funktionären, die Anwerbeversuche der Staatssicherheit. Sie glaubt an die Kraft von Ideen, die den Menschen in seinem innersten verwandeln. An den Sozialismus.
„Die Menschen um uns haben das Recht, sich in unseren. Büchern wiederzufinden.“ Sie lässt sich ein. Im Schreiben und im Leben in der Kleinstadt Hoyerswerda. Bei der Arbeit mit der Brigade. Aber da ist auch die andere Seite.
„Man erwartet von mir, dass ich ein einwandfreies Leben führen – einfach nur, weil ich Bücher schreibe. Was für ein Blödsinn!“
Sie lebt. Und sie lebt ausschweifend. Sie schreibt, sie diskutiert, sie flirtet, sie trinkt, sie tanzt, sie raucht. Alles öffentlich. Ein sehr junge Frau agiert sich aus vor den Augen einer Gesellschaft, die sich noch immer um ein männliches Zentrum dreht.
„Bei mir geht die Liebe immer zuerst durch den Kopf.“ Sagt Brigitte Reimann und stürzt sich in die nächste Affäre. Liebe, Sex, Anerkennung, Verliebtheit – alles fliesst ineinander. Lässt sich nicht von einander trennen. Der starke Wunsch nach dem eigenen Kind wird von Anfang an klar rationalisiert: Ihre Bücher sollen ihre Kinder werden. „Das Buch“ – das eine gute Buch, das nach ihrem Leben zählt soll ihr Kind sein.
„Bei mir geht die Liebe immer zuerst durch den Kopf“:
Was genau heißt das? Der Satz selbst besagt/sagt leider noch nichts.
Aber er findet sich oft.
Brigitte Reimann meint wohl damit, dass sie sich zuerst intellektuell angezogen fühlt von einem Menschen, bevor sie sich verliebt.
Im Tagebuch liest sich es so, als wäre sie ständig verliebt und ist auch immer am flirten. Fast zwanghaft. Sie unterscheidet aber sehr nachdrücklich, auch die Belästigungen, die ihr aufgezwungen werden.
Manchmal irritiert es, dass sie in dieser Hinsicht nicht entschiedener ist.
Das klingt fast so, als bräuchte sie das Flirten wie das tägliche Brot. Es ist ein Nutzen, ein Benutzen an Anregung. Sie sucht sich die Nahrung aus.
Wenn die Libido nicht sehr stark ist, so meine bescheidene „Verkürzung“, dann wird der Intellekt, das Auftreten ect. des anderen wirken, nicht so sehr seine physischen Attribute/Signale. In jedem Fall sorgt Mutter Natur dafür, daß es diverse Anziehungspunkte gibt.
Für mich hat (Kontrapunkt!) Intellekt bei einer Frau durchaus oft erotische Wirkung. Ich war schon oft überrascht, daß ihre Physis zwar das Eine ist, aber Geist und intellektueller Charme durchaus heftig punkten kann.