Gehen und stehen
Maike lebt seit einer Weile in Japan und bloggt und snapt fleißig aus ihrer neuen Lebensrealität. Gerade hat sie einen Blogartikel zum Thema Rolltreppen-Nettiketten-Kulturunterschiede geschrieben, über den ich etwas gestolpert bin.
Zuerst dachte ich, das sei wieder so eine Berlinerinnen Attitüde, Berlin mit dem Nabel von Deutschland gleichzusetzen, wenn sie schreibt, dass die Rolltreppen-Disziplin in Deutschland zu wünschen übrig ließe. Denn für Frankfurt kann ich das nicht bestätigen.
Kaum hatte ich das angedeutet ging es los mit: diese eine Freundin aus Frankfurt kann das nicht bestätigen und die nächste meldet sich und kann das auch nicht bestätigen.
Nun ja, an meinem Erleben ändert das natürlich nichts.
Meine erste Reaktion darauf war:
Hihi, was wollt ihr? Ein Video von der Bahnhofs Rolltreppe Montagmorgen um 6:30 wie sich alle Rollkofferschieberinnen brav in die Schlange zu stehen einreihen? Denen die dann 30m hinten stehen, wird das manchmal zu doof, die überholen dann die Linksüberholer der Rolltreppe noch mal weiter links (weil sie ihr Rollköfferchen tragend nicht die Rolltreppe links gehen könnten ohne die Rechts stehenden anzurempeln) sie gehen dann also auf der Lauftreppenspur.
Also der Spur, von der es in Antje Schrupp s Timeline gestern hieß sie würde für irgendwas knackiges sorgen.
Aber natürlich würde das Video nur wenig „beweisen“, um das genau zu untersuchen müssten wir eine Studie machen. Vielleicht sind unsere Lebensrealitäten anders, war ein weiterer Gedanke von mir. Ich dachte dabei an andere Fahrzeiten und andere Stationen.
Bis mir auf einmal klar wurde, worum es geht: Ich stehe, sie gehen.
Das ist der wesentliche Unterschied in der Perspektive. Ich steuere konzentriert die rechte Seite der Rolltreppe an, wenn ich Gepäck habe sorge ich dafür, dass ich trotzdem die rechte Hand frei habe, um mich am Handlauf festzuhalten, konzentriere mich dann auf das Besteigen der fahrenden Treppe, immer mit einer gewissen Unsicherheit bezüglich der schwierigen Perspektive, die ich nur schlecht sehen kann. Dann stehe ich und vor mir stehen die anderen Menschen und links rempeln mich die gehenden Menschen an, wenn sie an mir – und an zehn oder fünfzehn stehenden Menschen – vorbei hasten. Und steht ihnen die elfte oder siebzehnte Person im Weg ist das „mangelnde Rücksichtnahme“.
(Nicht, dass ich Maike für eine rücksichtslose Person halte!) Aber es ist doch verwunderlich, wie sich die Wahrnehmung ändert, wenn sich die Perspektive ändert.
Mir fiel in diesem Zusammenhang dann auch die eine Studie ein, derzufolge befördern Rolltreppen knapp 30 Prozent mehr Menschen, wenn diese auf beiden Seiten stehen.
Wenn also beide stehen, dann kommen alle schneller ans Ziel.
Die gefühlte „Rücksichtnahme“ ist also eher ein Hintenanstellen.
Wir Stehenden stehen also länger in der Schlange und müssen uns mehr anpassen, damit die die gut sehen, gut zu Fuss sind und eine gute Koordination haben, noch ein bisschen schneller ans Ziel kommen?
Oder habe ich etwas übersehen?
(Nicht dass das jetzt ein großes Ding wäre, mir geht es nur um die Wahrnehmung der Rücksichtnahme bzw. Höflichkeit oder Disziplin.)