Stadt der Engel
„Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud“ ist das letzte Buch von Christa Wolf. Dass sie es als Roman bezeichnet, obwohl das so ziemlich genau das Gegenteil davon ist, sagt viel über den Text. Es ist ein autobiografisches Buch, das sich verzweifelt um eine fiktionale Verkleidung bemüht. Ohne Erfolg. Da hilft nicht mal der Engel, der sie im letzten Teil des Buches begleitet.
Ich habe die „Stadt der Engel“ seit 2012 bestimmt schon vier- oder fünfmal gelesen. Zum einen gefällt mir die Sprache so gut, zum anderen habe ich ein Faible für autobiografisches Schreiben. Christa Wolf bietet in dieser Hinsicht viel: Tagebücher, Briefwechsel, Gesprächsprotokolle und nicht zuletzt ihr Projekt „Ein Tag im Jahr“, mit dem sie von 1960 bis zu ihrem Tod im Jahr 2011 ihren persönlichen Alltag am 27. September eines jeden Jahres sehr ausführlich beschrieb.
Die „Stadt der Engel“ unterscheidet sich sehr im Stil von den anderen autobiografischen Texten und vielleicht ist das der Grund, warum ich das Buch immer wieder lese, obwohl ich es nicht für ein rundherum gelungenes Buch halte – und schon gar nicht für einen Roman, obwohl sie sich doch so viel Mühe gibt, den Text in einen solchen zu verwandeln.
Das Buch handelt von der Zeit im Jahr 1992 in dem Christa Wolf nach Los Angelos in Kalifornien geht und ein Stipendium der Getty-Stiftung annimmt, um sich vor den Reaktionen der Medien auf das Auffinden ihrer Stasiakten zu schützen. Es beschreibt die Lebenskrise und die Panik, die sie überfällt. Das Entsetzen über die Möglichkeiten zur Umdeutung ihres kompletten Lebens und dessen Sinn. Die Schriftstellerin zweifelt und jammert. Sie windet sich sprachlich immer wieder von der Ich-Form über die Du-Form zur dritten Person und wieder zurück. Keine Perspektive gibt ihr Halt.
Aber die Auseinandersetzung der Schriftstellerin mit ihrer Vergangenheit ist nur ein Thema dieses Buches. Es beschreibt auch, wie ihre kommunistische Seele auf Amerika trifft. Auf die Konsumwelt und den Kapitalismus der Vereinigten Staaten. Die Obdachlosen, die Armutsviertel, die Angst der Besitzenden. Der Krieg, der nahtlos weitergeht, auch als der neue Präsident verantwortlich war.
Die Protagonistin verfolgt täglich die Abenteuer der Enterprice am Fernsehen, geht mit Freunden aus und kämpft mit den Tücken des amerikanischen Alltags bei der Bank und bei diversen Zahlungsmodalitäten. Das sind die Stellen, die mich am meisten ergreifen. Da ist das Leben, das ich mir am Besten vorstellen kann.
Etwas bemüht und konstruiert wirkt auf mich, dass sie sich ständig mit der Frage des Auswandern-Müssens auseinandersetzt und selbstverständlich zu dem Schluss kommt, dass sie nach Deutschland (in ihrer Vorstellung eben Ost-Deutschland) gehört. Auch wenn sie die Wende für eine feindliche Übernahme hält. Ein System, das für sie einen faschistischen Keim in sich trägt. Als Diktatur hat sie die DDR nicht erlebt. Nur als herrisches, ungerechteres Partei-Vaterland. Sie trägt weiter die Utopie einer sozialen Gesellschaft in sich.
Diesem Buch wurde Larmoyanz vorgeworfen, eitle Selbstsuche und Überheblichkeit. Eine Flucht, die sich aus Suche ausgibt. Auf den über 400 Seiten ist davon auch alles zu finden. Aber vorallem ist es mit großer Ehrlichkeit geschrieben. So ehrlich wie ein Mensch eben zu sich selbst sein kann. In einer großartigen Sprache. Die einen Sog entwickelt.
Heute stellt sich die Frage des Auswanders ja leider tatsächlich wieder und das mit dem faschistischen Keim hat sich als realistisch herausgestellt.