Heute war einfach nicht der Tag für den Museumsdienstag. Wollte keine Körperbilder betrachten, die so viele Geschichten von Vergänglichkeit erzählen. Die Archäologie der Gedanken klang verlockend, aber beim Lesen der Beschreibung überkam mich das Gefühl der Überforderung.
Eine unheimliche innere Unruhe breitete sich in mir aus, als ob eine feindliche Macht Besitz von mir ergreifen wollte. Körper und Seele schachmatt gesetzt, verloren im Wirbel der Gedanken. Atmen, einfach atmen. Ich blätterte in meinem alten Tagebuch, fand darin Erinnerungen, die mir klarmachten, dass die nächste Welle der Attacken kurz bevorstand. Die Schatten meiner Sorgen schienen näher zu rücken. Am besten, ich denke nicht darüber nach.
Nicht jeder Tag ist gleich, und die letzten waren gute Tage. Da ist es nicht verwunderlich, dass auch andere Zeiten folgen. Ist ja kein Ponyhof hier. Sondern das Leben in seiner ganzen Vielfalt, das zeigt, was es kann: Licht und Dunkelheit, Freude und Schmerz, die miteinander tanzen in einem ewigen Spiel.
Wenn die Blätter fallen, golden, rot und in feurigem Braun, male ich mit Tinte und den wildesten Träumen, ein Bild von der Zukunft, dunkel und leuchtend, mit den Schritten des Herbstes, die die Erde innig umarmen.
Die Luft, frisch und voller Versprechen, trägt einen Duft von fern, von Geschichten, die tief im Verborgenen schlummern, unter dem knisternden Dach, alter Bäume, deren Wurzeln im Gewebe der Schrift, von vergessenen Zeiten ruhen.
Am Tisch verweile ich, das Licht sinkt und küsst die Schatten, flüstert mir von Sehnsüchten, die über Horizonte reißen, über Dörfer und weite Felder, wo die Schatten drohend werden, und die Tage in Stille zerfließen.
Mit jedem Wort, das ich wähle, halte ich den Herbst fest, seine Melancholie bricht, aus dem Geäst der lebendigen Erinnerungen, eine Frucht, reif mit Hoffnungen, für das Ungesagte, das blüht, im Dickicht der Zeit.
Meine Feder tanzt, über raues Papier, zeichnet die Dämmerung, die den Tag selbst umarmt, wo die Nacht sich erhebt, und die Sterne in stummem Wissen, um das Morgen schimmern, verhüllt in geheimen Nebeln.
Was wird der Winter bringen? Die Kälte schneidender Stille, oder die Hitze zähmender Flammen, in den Herzen derer, die noch einer Vision lauschen? Ich schreibe weiter, mit der Gewissheit, dass die Zeilen, wie die samtenen Jahreszeiten, eine Brücke schlagen, zwischen dem, was war, und dem, was droht.
So öffne ich mein Herz weit, für die tiefen Geschichten der Menschen, die im Schatten der starren Bäume stehen, auf Wegen, die wir beschreiten, die uns tragen, in das Licht der ungewissen Tage, wo der Herbst, in all seiner Pracht, mit den Farben des Sehnens, uns an die Zukunft erinnert, die wir selbst neu weben können.
Jede Zeile ist ein beherzter Schritt, in die Weiten des Unbekannten, wo der Wind die Worte zu uns spricht, über die Felder, die ich mit Seele schrieb, und ich vertraue darauf, dass aus diesen Worten, ein neues Leben brodelt, wie ein Baum, der seine Wurzeln schlägt, in die tiefgrüne Erde der Zeit.
Aber dann kam langsam das Licht, die Ruhe, die Entscheidungen. Mein Leben fühlt sich intensiv an. Tief, fest. Und das obwohl, meine Wunschvorstellung von einem gutem Leben, ein ereignisloses Leben ist. Möglichst still. Möglichst leise. Aber dafür mit viel Präsenz. Ich hab die Jahreszeiten wahrgenommen, die Natur. Ich habe gelesen und mir Kunst angeschaut. Ich habe mit Freundinnen Spaß gehabt. Ich gab mir Mühe, ein guter Mensch zu sein. Die Stille ist der Ort, wo das Denken beginnt. Die Stille ist der Ort, wo mein Leben gedeiht. Ich habe in diesem Jahr so viel über mich gelernt. Über mich und das Leben.
Heute war ich im Goethehaus und bin dort hin und her gelaufen. Dabei kam mir das Lottehaus in den Sinn, das ich in Wetzlar so sehr liebe. Alle meine Besucher*innen, als ich noch in Weilburg wohnte, habe ich ins Lottehaus geschleppt, immer dann, wenn genug Zeit war. Es ist ein kleines Haus voller Atmosphäre und Präsenz.
Das möchte ich dem Goethehaus nicht absprechen. Vielleicht war heute einfach nicht sein Tag. Es wurde im Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut, und auch damals gab es bereits Diskussionen darüber, ob das der richtige Weg sei. Doch da sehr viel von der originalen Einrichtung in geschützter Umgebung gerettet werden konnte, haben sich die Rekonstrukteure wohl durchgesetzt. Was ich nachvollziehen kann.
Dennoch wirkt es auf mich nicht ganz stimmig. Mir fehlt etwas. Vielleicht bin ich auch einfach zu sehr ans Lottehaus gewöhnt. Objektiv betrachtet gibt es nichts, was ich dem Goethehaus anlasten könnte. Es ist, wie es ist, und alles ist wertvoll und sehenswert. Aber trotzdem empfinde ich eine Leere. Mir fehlt ein Gefühl. Eine Schwingung. Ein Vibrieren.
Ich bin durch die Räume gelaufen, aber nicht einmal in der Küche konnte ich es fühlen. Dabei sind Küchen doch die Orte mit den langlebigsten Geistern.
(Vielleicht kommt der Garten am nächsten dran. Der Garten schwingt leise.)
Heute war ich im temporären Domizil der Schirn in Bockenheim, um die Ausstellung von Suzanne Duchamp zu besuchen. Markante Industriearchitektur nennt man das wohl, jedenfalls eine beeindruckende Kulisse für Kunst. Der Empfang war freundlich, ein erfreulicher Kontrast zu meinen vergangenen Besuchen, bei denen ich oft mit unwirschen Bemerkungen konfrontiert wurde – ein Mal musste ich mich sogar nach drei Anschnauzern innerhalb von zehn Minuten umdrehen und gehen.
Diesmal war es anders. Der freundliche Umgangston und die offene Atmosphäre der Hallen luden förmlich dazu ein, die Kunst zu erkunden. Zuvor hatte ich wenig über Suzanne Duchamp gewusst. Ihre Werke waren mir wahrscheinlich begegnet, ohne dass ich den Namen richtig verknüpfen konnte. Sie war die Schwester von Marcel Duchamp, Raymond Duchamp-Villon und Jacques Villon und damit Teil einer einflussreichen Künstlerfamilie.
Die Ausstellung selbst ist beeindruckend und zeigt die Vielzahl ihrer künstlerischen Aktivitäten. Suzanne Duchamp war über viele Jahre aktiv und ließ sich von verschiedenen Stilrichtungen inspirieren. Ihre Arbeiten umfassen Malerei, Zeichnung und Fotografie; manchmal wirken sie verspielt, dann wieder konstruiert, als ob sie Collagen aus dem Gelebten anfertigte. Diese Vielseitigkeit macht ihre Kunst spannend.
Die große Bandbreite an Arbeiten, die aus vielen Teilen der Welt zusammengetragen wurden, lässt erahnen, wie viel Aufwand hinter dieser Ausstellung steckt.
Mir gefällt die Ausstellung sehr und ich würde sie mir gerne noch einmal anschauen.
Sah heute die Kraniche gegen Süden ziehen. Es gibt kaum etwas, was mich glücklicher macht. Wenn sie in ihren Formationen über mir fliegen, bebt mir das Herz.
Im Wind wiegt sich die Zeit, ein Flüstern nur, ganz sacht.
Die Kraniche tragen den Herbst, doch du, du trägst die Nacht.
Der Herbst zeigt sich von seiner freundlichen Seite, die Politik von ihrer derben. Es wäre naiv noch einen Funken Hoffnung in sich zu tragen, was die politische Zukunft dieses Landes und der Welt betrifft. Wir sind es nicht gewohnt, dass dieses Netz nicht trägt. Aber das Leben wird weitergehen. Wir werden nur mehr auf uns und unsere Beziehungen zurückgeworfen. So wie es anderen Menschen schon immer ergeht, schon immer ergangen ist. Nur weil wir das so nicht gewohnt sind, heißt das nicht, dass wir das nicht können. Wir werden lernen müssen, wie es sich dann lebt.
Bin wieder zurück gekehrt unter die Walnussbäume am Bornheimer Hang. Die Blätter liegen jetzt dichter auf dem Boden, und wenn ich über sie gehe, klingt es, als hätte jemand heimlich die Zeit auf leise gestellt. Kein Wind, nur das Rascheln der Schritte, ein Geräusch wie aus einer Erinnerung. Die Walnussbäume halten sich wacker, aber man sieht, dass sie müde sind. Müde vom Sommer, der dieses Jahr zu lang war, zu sehr ein Sommer, der einen auszehrt. Die Nüsse sind längst gefallen, wurden eifrig gesammelt, einige wenige liegen wie kleine verschlossene Geschichten im Gras. Ich sammle keine auf. Ich will sie einfach nur sehen, dort, wo sie hingefallen sind. Es ist diese Jahreszeit, in der man aufhört, Pläne zu machen. Nicht aus Resignation, sondern aus einem leisen Einverständnis mit dem Rhythmus der Dinge. Der Sommer hat genug gesprochen. Jetzt spricht die Stille. Oder sie flüstert.
„Der Herbst streut seine Träume in das müde Licht.“ Rose Ausländer
Dieses müde Licht liegt auch über dem Hang. Es ist nicht traurig, nur leise. Ich stehe da und denke, dass es gut ist, wenn die Dinge leiser werden. Wenn man aufhören kann, zu drängen. Die Walnussbäume tun nichts mehr, sie stehen einfach da und lassen geschehen, was geschieht. Die Luft riecht nach Erde, nach Laub und einem Hauch von Regen. Alles ist im Übergang, und nichts will es eilig haben.Ich bleibe noch einen Moment. Schaue in die Krone, in der das Licht hängt wie ein Gedanke, der sich nicht entscheiden kann, ob er hell oder dunkel sein will. Dann gehe ich weiter. Langsam. Ohne Plan.
Wie kann ich leben, wenn um mich herum alles den Bach heruntergeht?
Dazu fehlte mit monatelang die Antwort. Ich war fast davon überzeugt, dass es darauf gar keine Antwort für mich gibt. Zu empfindlich, dieses Mimosenseelchen mit dem mich das Schicksal augestattet hat. Aber so nach und nach lichtet sich die Panik und der Schrecken über eine immer weiter von faschistischen Denken und Handeln durchdrungene Welt.
Wichtig wird es sein, den eigenen Alltag zu zelebrieren.
Tu was dir gut tut, sorge für dich und deine Lieben.
Sei weitsichtig und kümmere dich um deine Sicherheit und die der Menschen in deiner Umgebung.
Verliere dich nicht im Dunkel der Katastrophennachrichten.
Sei hilfsbereit und freundlich. Wir können das alle brauchen.
Mach die Augen auf und biete Hilfe an. Jeden Tag. Immer wenn du kannst.
Such dir Hilfe und nimm sie an.
Rede und handle wertschätzend. Höre zu.
Klicks sind Klicks, aber Menschen sind Menschen. Menschen brauchen Unterstützung, Bestätigung, Anerkennung. Gib sie freizügig.
Sei großmütig zu dir und denen, die dir nahestehen.
Bereite Freude, wann immer und wie auch immer es dir möglich ist.