Es ist schon dunkel draußen. Jahreszeitentsprechend und dennoch verblüffend. Ich fühle mich erschöpft. Fast so wie früher in den alten Tagen als ich noch täglich ins Büro musste. Es ist eine Erschöpfung, die tief aus dem Inneren kommt. Ich gebe ihr nach, denn es hat keinen Sinn dagegen anzukämpfen. Ich nehme sie an, wie ein Geschenk, das von Herzen kommt und trotzdem daneben ist.
Das sind die guten Tage. Das sind die ruhigen Tage.
Es ist noch leicht dunkel draußen, bald wird die Sonne aufgehen. Grau in grau. Weit hinten sehe ich einen hellen, rötlichen Schein. Ich bin bereit für das Fitnessstudio, das am Wochenende etwas später aufmacht. Zeitlich habe ich es in die frühen Morgenstunden gerückt, damit es die anderen Routinen, die mir wichtig erscheinen, nicht verdrängt.
Plötzlich tauchen in meiner Timeline kleine Videos aus dem Gym auf. Ein paar lächerliche, ein paar lustige, ein paar absurde, wenige nützliche. Meine Aufmerksamkeit bleibt natürlich daran hängen, der Algorithmus weiß schon was er macht. Das Vokabular ist mir unvertraut, aber wie beim Lernen einer neuen Sprache, besteht die Faszination daraus, dass du ab und zu eins der neuen, bisher fremden Worte, wiedererkennst. Ah, das kennst du auch! Und das Gerät hast du auch schon gesehen und dich gefragt, zu was es wohl nütze sein könnte. Gleich darauf taucht das Thema Gewichtsreduzierung auf. Hartnäckig. Manchmal getarnt. Manchmal aggressiv. Ich wische weiter. Der Algorithmus bietet mir Musik an. Ich nehme sein Angebot an. Der helle Schein draußen ist verschwunden. Grau in grau. So wird wohl der Tag. Ich nehme ihn wie er ist.
Dieser November verlangt uns einiges ab. Der Frost der vergangenen Tage ist mir durch Körper und Gemüt gefahren. Ungewohnt früh in diesem Jahr kam die Kälte. Aber nun stehen die Aussichten wieder besser.
Ich hab vor einiger Zeit mit dem Sport im Verein begonnen. Sie haben ein wunderbares Fitnessstudio und ich wühle mich durch die Übungen. Das war keine leichte Entscheidung für mich, aber eine, die mir mit jedem Tag mehr Freude bringt, weil die kleinen Dinge erfolgreich sind. Es gibt professionelle Unterstützung von Trainer*innen, die ich gut gebrauchen kann.
Zu Beginn ist in so einer unbekannten Umgebung fast alles irritierend. Aber Tag für Tag, wird es ein bisschen einfacher. Zuerst musste ich mich mit Sportklamotten ausstatten. Und mit einer Routine, die in den Tag hineinpasst und die nicht auf Kosten, meiner sonstigen Gewohnheiten geht. So will ich immer noch meine Spaziergänge im Tagsablauf unterbringen, denn Draußenzeit ist für mich als gartenlose Großstadtpflanze ähnlich wichtig wie Bewegung.
Ein Fitnessstudio ist nicht nur in sportlicher Hinsicht eine Herausforderung. Es gibt so viele Details und so viel Kram, von dem ich keine Ahnung habe. Jetzt lerne ich das alles nach und nach.
Draußen auf dem Balkon hängt der neue Meisenring. Ich erfreue mich an den Vögeln, die mich besuchen, aber ich muss immer etwas vorsichtig sein, damit ich nicht der Taubenfütterung bezichtigt werde. Menschen haben unterschiedliche Vorstellungen davon, wieviel Freude ein paar kleine Vögelchen in so ein Großstadtleben bringen können. Mir bringt jeder kleine Vogel, den ich sehe ein kleines Stückchen Freude und Herzensglück in mein Leben. Sie sind die kleinen Lichtstrahlen in den trüben Novembertagen.
Stefanie Naydenov schreibt bei den Krautreportern über das Gefühl von Sicherheit und Unsicherheit. Sie beleuchtet es jeweils aus der Sicht der Psychologie, der Therapie und der Politik. Für mich ist das aktuell ein wichtiges Thema, weil mein Körper ab und an eine andere Vorstellung von Sicherheit hat als mein Geist.
Hab euch den Geschenklink eingebunden, damit ihr ihn auch lesen könnt.
Nachdenken über das vergangene Jahr. Die Trauer aussieben. Sie herausschälen und schauen, was übrig bleibt. Da bleiben ruhige Tage. Stille Tage. Tage voller Präsenz, Momente des Glücks. Diese Wochen fühlen sich an wie Erntezeit. Ich ernte Lebendigkeit. Innigkeit. Kreativität. Ich pflücke mir mein Glück zurecht.
Heute war einfach nicht der Tag für den Museumsdienstag. Wollte keine Körperbilder betrachten, die so viele Geschichten von Vergänglichkeit erzählen. Die Archäologie der Gedanken klang verlockend, aber beim Lesen der Beschreibung überkam mich das Gefühl der Überforderung.
Eine unheimliche innere Unruhe breitete sich in mir aus, als ob eine feindliche Macht Besitz von mir ergreifen wollte. Körper und Seele schachmatt gesetzt, verloren im Wirbel der Gedanken. Atmen, einfach atmen. Ich blätterte in meinem alten Tagebuch, fand darin Erinnerungen, die mir klarmachten, dass die nächste Welle der Attacken kurz bevorstand. Die Schatten meiner Sorgen schienen näher zu rücken. Am besten, ich denke nicht darüber nach.
Nicht jeder Tag ist gleich, und die letzten waren gute Tage. Da ist es nicht verwunderlich, dass auch andere Zeiten folgen. Ist ja kein Ponyhof hier. Sondern das Leben in seiner ganzen Vielfalt, das zeigt, was es kann: Licht und Dunkelheit, Freude und Schmerz, die miteinander tanzen in einem ewigen Spiel.
Wenn die Blätter fallen, golden, rot und in feurigem Braun, male ich mit Tinte und den wildesten Träumen, ein Bild von der Zukunft, dunkel und leuchtend, mit den Schritten des Herbstes, die die Erde innig umarmen.
Die Luft, frisch und voller Versprechen, trägt einen Duft von fern, von Geschichten, die tief im Verborgenen schlummern, unter dem knisternden Dach, alter Bäume, deren Wurzeln im Gewebe der Schrift, von vergessenen Zeiten ruhen.
Am Tisch verweile ich, das Licht sinkt und küsst die Schatten, flüstert mir von Sehnsüchten, die über Horizonte reißen, über Dörfer und weite Felder, wo die Schatten drohend werden, und die Tage in Stille zerfließen.
Mit jedem Wort, das ich wähle, halte ich den Herbst fest, seine Melancholie bricht, aus dem Geäst der lebendigen Erinnerungen, eine Frucht, reif mit Hoffnungen, für das Ungesagte, das blüht, im Dickicht der Zeit.
Meine Feder tanzt, über raues Papier, zeichnet die Dämmerung, die den Tag selbst umarmt, wo die Nacht sich erhebt, und die Sterne in stummem Wissen, um das Morgen schimmern, verhüllt in geheimen Nebeln.
Was wird der Winter bringen? Die Kälte schneidender Stille, oder die Hitze zähmender Flammen, in den Herzen derer, die noch einer Vision lauschen? Ich schreibe weiter, mit der Gewissheit, dass die Zeilen, wie die samtenen Jahreszeiten, eine Brücke schlagen, zwischen dem, was war, und dem, was droht.
So öffne ich mein Herz weit, für die tiefen Geschichten der Menschen, die im Schatten der starren Bäume stehen, auf Wegen, die wir beschreiten, die uns tragen, in das Licht der ungewissen Tage, wo der Herbst, in all seiner Pracht, mit den Farben des Sehnens, uns an die Zukunft erinnert, die wir selbst neu weben können.
Jede Zeile ist ein beherzter Schritt, in die Weiten des Unbekannten, wo der Wind die Worte zu uns spricht, über die Felder, die ich mit Seele schrieb, und ich vertraue darauf, dass aus diesen Worten, ein neues Leben brodelt, wie ein Baum, der seine Wurzeln schlägt, in die tiefgrüne Erde der Zeit.
Aber dann kam langsam das Licht, die Ruhe, die Entscheidungen. Mein Leben fühlt sich intensiv an. Tief, fest. Und das obwohl, meine Wunschvorstellung von einem gutem Leben, ein ereignisloses Leben ist. Möglichst still. Möglichst leise. Aber dafür mit viel Präsenz. Ich hab die Jahreszeiten wahrgenommen, die Natur. Ich habe gelesen und mir Kunst angeschaut. Ich habe mit Freundinnen Spaß gehabt. Ich gab mir Mühe, ein guter Mensch zu sein. Die Stille ist der Ort, wo das Denken beginnt. Die Stille ist der Ort, wo mein Leben gedeiht. Ich habe in diesem Jahr so viel über mich gelernt. Über mich und das Leben.
Heute war ich im Goethehaus und bin dort hin und her gelaufen. Dabei kam mir das Lottehaus in den Sinn, das ich in Wetzlar so sehr liebe. Alle meine Besucher*innen, als ich noch in Weilburg wohnte, habe ich ins Lottehaus geschleppt, immer dann, wenn genug Zeit war. Es ist ein kleines Haus voller Atmosphäre und Präsenz.
Das möchte ich dem Goethehaus nicht absprechen. Vielleicht war heute einfach nicht sein Tag. Es wurde im Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut, und auch damals gab es bereits Diskussionen darüber, ob das der richtige Weg sei. Doch da sehr viel von der originalen Einrichtung in geschützter Umgebung gerettet werden konnte, haben sich die Rekonstrukteure wohl durchgesetzt. Was ich nachvollziehen kann.
Dennoch wirkt es auf mich nicht ganz stimmig. Mir fehlt etwas. Vielleicht bin ich auch einfach zu sehr ans Lottehaus gewöhnt. Objektiv betrachtet gibt es nichts, was ich dem Goethehaus anlasten könnte. Es ist, wie es ist, und alles ist wertvoll und sehenswert. Aber trotzdem empfinde ich eine Leere. Mir fehlt ein Gefühl. Eine Schwingung. Ein Vibrieren.
Ich bin durch die Räume gelaufen, aber nicht einmal in der Küche konnte ich es fühlen. Dabei sind Küchen doch die Orte mit den langlebigsten Geistern.
(Vielleicht kommt der Garten am nächsten dran. Der Garten schwingt leise.)