Bin wieder zurück gekehrt unter die Walnussbäume am Bornheimer Hang. Die Blätter liegen jetzt dichter auf dem Boden, und wenn ich über sie gehe, klingt es, als hätte jemand heimlich die Zeit auf leise gestellt. Kein Wind, nur das Rascheln der Schritte, ein Geräusch wie aus einer Erinnerung. Die Walnussbäume halten sich wacker, aber man sieht, dass sie müde sind. Müde vom Sommer, der dieses Jahr zu lang war, zu sehr ein Sommer, der einen auszehrt. Die Nüsse sind längst gefallen, wurden eifrig gesammelt, einige wenige liegen wie kleine verschlossene Geschichten im Gras. Ich sammle keine auf. Ich will sie einfach nur sehen, dort, wo sie hingefallen sind. Es ist diese Jahreszeit, in der man aufhört, Pläne zu machen. Nicht aus Resignation, sondern aus einem leisen Einverständnis mit dem Rhythmus der Dinge. Der Sommer hat genug gesprochen. Jetzt spricht die Stille. Oder sie flüstert.
„Der Herbst streut seine Träume in das müde Licht.“ Rose Ausländer
Dieses müde Licht liegt auch über dem Hang. Es ist nicht traurig, nur leise. Ich stehe da und denke, dass es gut ist, wenn die Dinge leiser werden. Wenn man aufhören kann, zu drängen. Die Walnussbäume tun nichts mehr, sie stehen einfach da und lassen geschehen, was geschieht. Die Luft riecht nach Erde, nach Laub und einem Hauch von Regen. Alles ist im Übergang, und nichts will es eilig haben.Ich bleibe noch einen Moment. Schaue in die Krone, in der das Licht hängt wie ein Gedanke, der sich nicht entscheiden kann, ob er hell oder dunkel sein will. Dann gehe ich weiter. Langsam. Ohne Plan.
Wie kann ich leben, wenn um mich herum alles den Bach heruntergeht?
Dazu fehlte mit monatelang die Antwort. Ich war fast davon überzeugt, dass es darauf gar keine Antwort für mich gibt. Zu empfindlich, dieses Mimosenseelchen mit dem mich das Schicksal augestattet hat. Aber so nach und nach lichtet sich die Panik und der Schrecken über eine immer weiter von faschistischen Denken und Handeln durchdrungene Welt.
Wichtig wird es sein, den eigenen Alltag zu zelebrieren.
Tu was dir gut tut, sorge für dich und deine Lieben.
Sei weitsichtig und kümmere dich um deine Sicherheit und die der Menschen in deiner Umgebung.
Verliere dich nicht im Dunkel der Katastrophennachrichten.
Sei hilfsbereit und freundlich. Wir können das alle brauchen.
Mach die Augen auf und biete Hilfe an. Jeden Tag. Immer wenn du kannst.
Such dir Hilfe und nimm sie an.
Rede und handle wertschätzend. Höre zu.
Klicks sind Klicks, aber Menschen sind Menschen. Menschen brauchen Unterstützung, Bestätigung, Anerkennung. Gib sie freizügig.
Sei großmütig zu dir und denen, die dir nahestehen.
Bereite Freude, wann immer und wie auch immer es dir möglich ist.
Was wäre das Leben ohne Träume? Ich meine nicht die großen Träume, hinter denen wir hinterherrennen. Oder die, die unsere Leben verändern sollen. Ich meine die Träume in der Nacht, die uns unser Unterbewusstsein einflüstert. Sie lassen uns andere Welten erleben. Täuschen zukünftiges vor oder auch vergangenes. Ich mag es wenn im Traum Menschen mit mir sprechen. Ich mag auch das Irritierende, das manche Träume mit sich bringen. Das gibt dem realen Leben einen leichten Stoß in die Seite, das kann manchmal hilfreich sein. Oder Trost. Manchmal kommt Trost durch die Träume in mein Leben. Viel Leichtigkeit.
Ganz selten traf mich Angst und Gewalt durch die Nachtträume, aber die seltenen Male haben es in sich gehabt. Es muss ganz entsetzlich sein, wenn Menschen unter Alpträumen leiden. Denn dann ist der Schlaf keine sichere Zuflucht. Dann ist so etwas wie die Tür zu Hölle offen. Mein Mitgefühl ist groß.
„So still kann nur die Ferne sein, wenn sie schon fast Vertraute ist.“
Bin über alle Berge und durch die Berge hindurch gefahren und am Morgen hier aufgewacht. Die Fahrt mit dem BeninaExpress war genauso spektakulär, wie du sie dir vorstellst. Ich habe es schnell aufgeben Fotos zu machen, weil die Natur dann doch nicht so richtig in mein Smartphone passt.
Jetzt die große Müdigkeit, die die Überwältigung mit sich bringt.
Am Sonntag jährt sich der Todestag meiner Mutter. Ein Datum, das wie ein Schatten über mir schwebt, ein Anlass, um noch einmal genauer hinzuschauen auf das Trauerjahr, das mir so unerwartet – im wahrsten Sinne des Wortes – den Boden unter den Füßen weggerissen hat. Über zehn Jahre lang war meine Mutter schwer an Demenz erkrankt, und ihr letztes Lebensjahr war geprägt von purem Leiden. Ihr Tod war also nicht unerwartet, sondern vielmehr das Ende eines langen Abschieds, der sich wie ein zäher Schleier über unsere gemeinsamen Erinnerungen legte.
Nie hätte ich gedacht, dass mich die Trauersymptome so mitreißen würden. Trauer, das war für mich ein Konzept, das in Büchern behandelt wird, in denen von Phasen die Rede ist: vom Verleugnen, von der Wut über das Verlassenwerden. Ich hatte mir Trauer als ein einziges, langes Traurigsein vorgestellt, als ein ständiges Weinen, als viele Tränen, die in einem Meer von schönen Erinnerungen ertrinken. Ich dachte, irgendwann würde ich mein letztes Taschentuch vollgeheult haben, und dann würde es leichter gehen. So dachte ich, bis zu dem Tag, an dem meine Mutter starb und die Trauer meinen Körper voll unter Kontrolle brachte.
Der Boden unter meinen Füßen war nicht mehr stabil genug, und ich fand mich in einer Welt wieder, in der ich Halt suchen musste, um auf der Straße ein paar Meter gehen zu können. Trauersymptome, so lernte ich, können fast alle körperlichen Ausfälle sein. Bei mir war es das Gehen. Ich hatte das vorher noch nie gehört, aber die Medizin versichert es. Trauersymptome. Tag für Tag, Woche für Woche, kämpfte ich mich Schritt für Schritt zurück ins Gehen. Es war ein mühsamer Prozess, der mich an meine Grenzen brachte. Ich wollte wieder sicher sein, frei und leicht, doch der nächste Rückschlag kam immer unerwartet, wie ein Dieb in der Nacht.
Jedes Mal reagierte ich fassungslos und ungläubig. Warum passiert mir das? Warum ausgerechnet mir? Was macht mein Körper mit mir, wenn er mich vollständig aus dem Verkehr zieht? Mich abhängig von Begleitung macht? Warum weine ich nicht, wie andere Menschen das tun, und gut ist? Vielleicht habe ich mir gar nicht so viele Fragen gestellt. Ich war monatelang damit beschäftigt, mir die Welt zurückzuholen. Dreimal insgesamt. Beim dritten Mal war die Sorge, dass ich es dieses Mal nicht schaffe, immer größer. Es wurde jedes Mal schwieriger.
Auf dem Höhepunkt meiner Gehschwierigkeiten reiste ich nach Nordirland, in dem unheimlichen Wissen, dass ich dort keinen Fuß alleine nach draußen setzen kann. Aber das Risiko einzugehen, hat sich gelohnt. Ich bin zurückgekommen, und es waren so harte Wochen. Immer noch habe ich wenig Vorstellung davon, wie das Wechselspiel von Körper und Seele diese Symptome erzeugt. Am Anfang konnte ich es kaum selbst glauben. Was geht da in mir und mit mir vor? Die medizinischen Erklärungen sind dürftig, sehr dürftig. Doch ich habe gelernt, dass es wenig Sinn macht, nach Definitionen, Diagnosen und Erklärungen zu suchen.
Mir half nur, mich selbst aufzurichten und mich Schritt für Schritt wieder in Sicherheit zu bringen. Tag für Tag. Ich weiß nicht so recht, wie der Jahrestag auf mich wirken wird. Gelernt habe ich jedoch, dass Erinnerungen und Wiederholungen die Symptome auch wieder neu beleben können. Es könnte also sein, dass es wieder schwierig wird. Vielleicht. Nichts ist sicher. Das habe ich in diesem Jahr gelernt. Sicherheit ist etwas, was ich mir erkämpfen muss. Sie ist nicht einfach da, wie ein vertrauter Freund, der immer an meiner Seite steht. Vielmehr ist sie ein zartes Pflänzchen, das ich hegen und pflegen muss, um es wachsen zu lassen.
„Das Wasser des Sees ist niemals süß“ von Giulia Caminito.
Wieder habe ich vergessen, von wem die Empfehlung für diese Autorin stammt. So oder so: es ist ein großartiges Buch.
Mir fehlt gerade die Zeit, genauer auszuführen, was mich so fasziniert hat. Aber ich möchte auch nicht, das das Lesen dieses Buches untergeht in meinem nie versiegendem Lesestrom. Es ist ein Buch über Armut. Ein Buch, das auf eine subtile Weise zeigt, dass Bildung eben nicht immer ein Garant ist, der Armut zu entrinnen. Obwohl es sehr explizit fiktional ist, wird es auch sehr deutlich, dass Armut nicht heißt, auf der moralisch guten Seite zu stehen (ich weiß nicht, wie ich das auf die Schnelle besser formulieren kann). Es zeigt eher auch die Aggressionen, die Armut erzeugt. Die inneren und die äußerlichen.
Die Blogeinträge nehmen Bezug auf ihr Buch zu den radikalen Feministinnen aus dieser Zeit. Ich habe beim Lesen des Buchs sehr viele Zusammenhänge besser sehen und verstehen können, die mir vorher kaum bewusst waren.
Nicht dass das etwas daran ändern könnte, dass wir in dunkle Zeiten hineinschlittern. Schon hineingeschlittert sind, sagt mir mein Gefühl. Aber wenn schon dunkel, dann lieber in Begleitung einer Taschenlampe, die ein bisschen Licht verschwendet.