Masern
Anne Roth fragte auf Facebook nach, warum sich unsere Wahrnehmung der Gefährlichkeit von Kinderkrankheiten so stark verändert hat.
Ich hab mich noch mal auf das verminte Gelände gewagt und hab das für mich so beantwortet:
Ich denke diese Frage trifft einen wunden Punkt der heftig geführten Debatte. Gerade die Menschen, die sich besonders stark für das Impfen aussprechen, tun so als gäbe es in dieser Angelegenheit nur Fakten. Aber das ist unrealistisch. Fakten werden immer bewertet. Wir deuten sie immer. Menschen können anders gar keine Entscheidungen treffen.
Als es noch keine Impfstoffe gab, war es daher nicht sinnvoll, sich mit der Gefährlichkeit von Krankheiten auseinanderzusetzen, der eins scheinbar nicht entkommen konnte. Allerdings kann ich mich erinnern, dass es meinem Umfeld (Arbeitermilieu) damals schon hieß: Kinderkrankheiten seien nur für Kinder nicht so schlimm.
Das passte zur sonstigen Logik, dass praktisch alles was für Erwachsene schlimm war, für Kinder ein Kinderspiel sei.
Ich kann mich auch noch gut erinnern, wie verzweifelt meine damals schwangere Schwester war, als im Kindergarten in dem sie arbeitete, eine der sogenannten Kinderkrankheiten ausbrach und der Hausarzt sie nicht krankschreiben wollte. Sie wusste durch ihre Ausbildung durchaus, wie gefährlich die Krankheiten waren. Ins öffentliche Bewusstsein drang das erst später.
Aber ist das nicht heute mit anderen Sachen auch so? Nach wie vor mit Verkehrsopfern? Mit Umweltgiften? Mit Lärm?
Wir wissen, dass es gefährlich ist, aber wir bewerten die eine Gefahr als unausweichlich, die andere ist für uns nicht hinnehmbar.
Und das Hinnehmbare ist, was sich verändert. Mit der Zeit, mit der Mode oder im besten Sinn mit der Einsicht.
Für mich ist z.B. nicht hinnehmbar, dass arme Menschen eine Lebenserwartung haben, die bis zu 10 Jahre niedriger ist als andere. Und dass arme Kinder häufiger krank und unfallgefährder sind. Wäre schön, wenn sich daran mehr Menschen erinnern, wenn das Thema Masern durch ist.